Josefibichl
Fahrer zu rekrutieren, der sie zum Fundort der Leiche bringen sollte. Dort nahm er die Situation gründlich in Augenschein – wobei er peinlich darauf achtete, die Arbeit der mittlerweile ebenfalls eingetroffenen Spurensicherung nicht zu behindern.
Nach der Besichtigung des Fundorts und seiner Umgebung, während derer Schneider zwei Stunden auf dem Josefibichl verweilte, ließen sich die beiden LKA-Beamten wieder zur PI fahren. Schneider musste sich deren Leiter Ludwig Bernbacher zur Brust nehmen. Er fand ihn in seinem Büro vor, wo er geschäftig auf die Computertastatur hackte.
»Ist das wirklich Ihr Ernst? Sie haben den einzigen Zeugen – oder vielleicht sogar Tatverdächtigen – nach kurzer Befragung auf Joggingschuhen nach Hause geschickt? Sagen Sie, dass das nicht wahr ist!«
Bernd Schneider hatte in seiner fünfzehnjährigen Polizeikarriere, die ihn bis in das Dezernat SG 532, den Kriminaldauerdienst des Bayerischen Landeskriminalamts, gebracht hatte, selten eine so dämliche Geschichte gehört wie die, die ihm dieser bräsige Provinzsheriff Bernbacher hier auftischte. Dämlicher waren damals zu Beginn seiner Laufbahn vielleicht die Ausreden der betrunkenen Autofahrer gewesen, die er – »Allgemeine Verkehrskontrolle, darf ich einmal die Papiere sehen?« – aus dem fließenden Verkehr zu ziehen hatte.
In einem Fall von Totschlag, um den es sich hier offensichtlich handelte, den einzigen Menschen, der überhaupt etwas Verwertbares zu dem Vorfall beitragen konnte, nach Hause schicken – joggend – und darauf vertrauen, dass er dort blieb . . . Einen ausgebufften Expolizeireporter. Karl-Heinz Hartinger. Gonzo Hartinger.
Natürlich kannte Schneider den in München stadtbekannten Trinker, Weiberhelden und – leider auch – verdammt hartnäckigen Schreiberling Hartinger. Jeder Polizist, der in den vergangenen zwanzig Jahren in und um München an einem Fall gearbeitet hatte, der nur unwesentlich spektakulärer war als ein Automatenaufbruch in Neuperlach, hatte mit Hartingers halsstarrigem Wahrheitsdrang und seiner spitzen Feder Bekanntschaft gemacht. Der Mann konnte einem so richtig auf den Zeiger gehen.
»Dann schicken Sie sofort eine Streife los, die den Kerl innerhalb der nächsten fünf Minuten hier in Ihre romantische Trutzburg befördert, Mann!« Schneider schnaubte.
»Schon unterwegs, Herr Hauptkommissar.« Wenigstens dieses Mal hatte Bernbacher bereits sein Hirn und zwei seiner POMs in Bewegung gesetzt, bevor ein Befehl dazu ergangen war.
»Lassen Sie uns in der Zwischenzeit die Lage festhalten.« Bernd Schneider ließ keine Sekunde lang einen Zweifel daran, wer der Chef im Ring war. Auch wenn die Kollegen in Uniform teilweise fast zwanzig Dienst – und somit Lebensjahre mehr auf dem Buckel hatten und dies hier eigentlich ihr Gäu war: Er war Schneider, er war LKA – alles hört auf mein Kommando.
Er trommelte die vier Beamten der Garmisch-Partenkirchner Polizeiinspektion, die am Fundort gewesen waren, den obersten Spurensicherer und die beiden Vertreter der Kripo aus Weilheim sowie seine Assistentin Claudia Schmidtheinrich und natürlich Bernbacher am langen Tisch im kargen Besprechungsraum zusammen. Am oberen Tischende saß er, Schneider, und leitete die Besprechung mit den wenigen Fakten ein, die er während der Anreise von München her per Telefon und durch seine Besichtigung des Fundorts erfahren hatte. Claudia Schmidtheinrich, rechts neben ihm, protokollierte fleißig in den mitgebrachten Laptop.
»Fürs Protokoll, Claudia: Dienstag, 27. Juli 2010. Einundzwanzig Uhr fünfunddreißig. Ort: PI GAP. Anwesend . . . Na ja, siehst du ja selber. Hast ja die Namen der Herren.«
Schneiders Assistentin nickte, blies sich eine dunkelbraune Locke aus dem Gesicht, die sich aus ihrem streng gebundenen Pferdeschwanz gelöst hatte, und schaute über ihre halbrunde Brille nach links und rechts.
Schneider ratterte die Fakten herunter: wer wann wo von wem gefunden worden war.
»Kollege Spurensicherer, was haben Sie bisher?«
Jetzt, um halb zehn Uhr abends, arbeiteten oben auf dem Josefibichl noch drei der vier Kollegen im Flutlicht weiter, der dienstälteste, Herrmann Rottal, dem es hoffentlich gelingen würde, sich auch die verbleibenden acht Jahre bis zur Pensionierung in den weißen SpuSi-Overall zu zwängen, berichtete: »Der ganze Berg ist voll von Spuren. Wie die Anwesenden ja wissen, verkehren dort regelmäßig Wanderer und auch Gläubige, die am Feldkreuz Blumen niederlegen. Und so ist
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