Joseph Anton
Fiktion oder Sachtext, zwischen seiner ureigenen Skylla und Charybdis hindurchsegeln musste, zwischen den Ungeheuern der Angst und der Rache. Schrieb er zu furchtsam und verängstigt, zu wütend oder rachsüchtig, würde seine Kunst hoffnungslos entstellt. Dann wäre er nur noch ein Geschöpf der Fatwa und sonst nichts mehr. Um überleben zu können, musste er Furcht und Wut unterdrücken, auch wenn es noch so schwerfiel, musste versuchen, weiterhin jener Schriftsteller zu sein, der er stets zu sein versucht hatte, weiter jenem Weg folgen, den er für sich als seinen Weg ausgewählt hatte. Wenn er das schaffte, war ihm der Erfolg gewiss. Gelang es ihm nicht, drohte klägliches Scheitern. Das wusste er.
Er vergaß, dass es eine dritte Falle gab: um Zustimmung zu buhlen, in seiner Schwäche geliebt werden zu wollen. Er war zu blind, um zu sehen, dass er schnurstracks auf diesen Abgrund zulief; und dies war die Falle, die zuschnappte und ihn beinahe auf immer vernichtete.
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Unter einem Parkplatz in Southwark fand man das Globe Theatre, Shakespeares wundervolles, hölzernes O. Bei dieser Nachricht stiegen ihm Tränen in die Augen. Er hatte Schach gegen einen Schachcomputer gespielt und Level 5 erreicht, aber als das Globe gefunden wurde, konnte er keinen Bauern mehr ziehen. Die Vergangenheit hatte sich geregt, die Gegenwart berührt, und die Gegenwart um vieles reicher gemacht. Er musste daran denken, dass die größten Wendungen der englischen Sprache zum ersten Mal in Anchor Terrace unweit der Park Street, der elisabethanischen Maiden Lane gesprochen worden waren. Der Geburtsort von Hamlet, Othello und Lear. Er hatte einen Kloß im Hals. Die Liebe zur Kunst der Literatur war etwas, was er seinen Gegnern einfach nicht erklären konnte, die nur ein einziges Buch mit einem unveränderlichen Text liebten, der als Gottes ungeschaffenes Wort immun war gegen Interpretationen.
Es war unmöglich, die buchstabengläubigen Korangelehrten zur Beantwortung einer einfachen Frage zu bewegen: Wussten sie, dass es nach dem Tod des Propheten eine erstaunlich lange Zeit keinen kanonischen Text gegeben hat? Die Inschriften der Umayyaden am Felsendom widersprachen dem, was heute als heilige Schrift gilt – ein Text, der erst zur Zeit von Uthman, dem dritten Kalifen, standardisiert wurde. Die Mauern von einem der heiligsten Schreine des Islam verkündeten, dass menschliche Fehlbarkeit bei der Geburt des Buches mitgewirkt hatte. Nichts auf Erden war vollkommen, das von Menschen abhing. Das Buch wurde in der muslimischen Welt anfangs mündlich überliefert, und zu Beginn des zehnten Jahrhunderts hat es mehr als sieben voneinander abweichende Texte gegeben. Der um 1920 von al-Azhar erstellte und autorisierte Text folgte einer dieser sieben Varianten. Der Gedanke, es existiere ein Urtext, das vollkommene, unveränderliche Wort Gottes, ist schlichtweg falsch. Geschichte und Architektur lügen nicht, selbst wenn es Romanciers gelegentlich tun. Doris Lessing, eine zutiefst vom sufistischen Mystizismus beeinflusste Schriftstellerin, rief an, um ihm zu sagen, dass er seine Verteidigung ›falsch aufgebaut‹ habe. Er hätte Khomeini als eine unislamische, ›Pol-Pot-ähnliche Figur‹ darstellen sollen. »Außerdem«, sagte sie, eine Frau, die kein Blatt vor den Mund nahm, »muss ich Ihnen gestehen, dass mir Ihr Buch nicht gefallen hat.« Alle hatten eine Meinung. Alle wussten, was hätte getan werden sollen.
Angst machte sich in der Verlagsindustrie breit. Peter Mayers Widerwille gegen künftige Bücher steckte andere Verleger an – er fragte sich, ob Mitarbeiter von Penguin Unterstützung für ihre Auffassung suchten, damit sie nicht allein so feige dastanden, denn jetzt kamen die französischen und deutschen Verleger mit ähnlichen Argumenten. Publishers Weekly sprach sich gegen die Veröffentlichung des Taschenbuchs aus, und wieder roch er Verrat. Mayer weigerte sich weiterhin, einen Termin für die Taschenbuchausgabe zu nennen, und erwähnte dabei Bomben, die unweit seines Hauses gefunden worden waren. Wie sich herausstellte, waren es Bomben walisischer Nationalisten, die mit Die satanischen Verse nichts zu tun hatten, was aber nichts an Mayers Position änderte. Tony Lacey erzählte Gillon, Peter habe gerade eine Todesdrohung erhalten. Bill Buford kam nach Essex, und sie brieten sich zum Abendessen eine Ente. »Sei nicht so verbittert«, sagte Bill.
Gillon und Andrew redeten mit Leuten bei Random House, mit Anthony Cheetham und Si
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