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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Schriftsteller (also gegen mich) unternommen werden sollte. Die Auslöschung jeglicher Ketzerei und die Anwendung von Gewalt zu diesem Zweck ist Teil Ihres Programms, nicht unseres. Sie, mein Herr, feiern den ›Fanatismus in Gottes Namen‹. Sie behaupten, christliche Toleranz sei ein Grund für ›christliche Schande‹. Sie befürworten den ›militanten Zorn‹. Und doch nennen Sie mich einen ›literarischen Terroristen‹. Das wäre komisch, nur meinen Sie es gar nicht komisch, und, ehrlich gesagt, es ist auch gar nicht komisch. In The Independent schreiben Sie, Werke wie Die satanischen Verse und Das Leben des Brian gehörten aus dem ›öffentlichen Bewusstsein gelöscht‹, da ihre Methoden ›falsch‹ seien. Sie mögen Leute finden, die mit Ihnen darin übereinstimmen, dass mein Roman keinerlei literarische Meriten besitzt, aber wenn Sie es mit Monty Python’s Flying Circus aufnehmen, dann schießen Sie, um es mit Bertie Wooster zu sagen, einen kapitalen Bock. Dieser Possenzirkus und sein Treiben wird von vielen Menschen geliebt, und jeder Versuch, ihn aus dem öffentlichen Bewusstsein zu löschen, bringt eine Armee von Gegnern auf die Beine, die, mit toten Papageien bewaffnet, im albernen Watschelgang ihre Schlachthymne singen, stets nur die schönen Seiten des Lebens zu sehen, ›always looking on the bright side of life‹. Mir wird nun klar, Herr Shabbir Akhtar, dass sich der Streit um Die satanischen Verse am besten als ein Streit zwischen jenen beschreiben ließe, die (wie die Fans von Das Leben des Brian ) einen Sinn für Humor besitzen, und jenen (wozu, wie ich fürchte, Sie gehören), die keinen haben.
    Er hatte mit der Arbeit an einem weiteren langen Essay begonnen. Den größten Teil des Jahres war er nicht nur unsichtbar, sondern auch stumm geblieben, hatte nicht abgeschickte Briefe in seinem Kopf verfasst, nur einige Buchbesprechungen veröffentlicht sowie ein kurzes Gedicht, das nicht nur Bradfords Rat der Moscheen, sondern, so Peter Mayer, auch die Mitarbeiter bei Viking gegen ihn aufbrachte, von denen offenbar einige wie Shabbir Akhtar zu glauben begannen, dass er ›aus dem öffentlichen Bewusstsein gelöscht‹ werden sollte. Nun würde er seine Meinung sagen. Er sprach mit Andrew und Gillon. Es würde fraglos ein langer Essay werden, und er musste wissen, welche maximale Länge für die Presse noch zumutbar war. Ihrer Meinung nach würde man drucken, was immer er schrieb. Sie kamen überein, dass der beste Zeitpunkt für einen solch langen Artikel die Tage rund um den ersten Jahrestag der Fatwa wären. Natürlich war es wichtig, dass die Umstände der Veröffentlichung stimmten, also würde die Wahl des Publikationsortes entscheidend sein. Gillon und Andrew stellten einige Nachforschungen an. Und er begann über den Essay nachzudenken, der einmal In gutem Glauben heißen sollte, eine siebentausend Worte lange Verteidigung seiner Arbeit. Doch beim Nachdenken unterlief ihm ein entscheidender Fehler.
    Er tappte in eine Falle, als er zu glauben begann, dass man sein Buch attackierte, weil es von skrupellosen, auf ihren politischen Vort eil bedachten Menschen ins falsche Licht gerückt und seine eigene Integrität aus demselben Grund in Zweifel gezogen wurde. Denn wenn er ein Mensch von niederer Moral war und es seinem Werk an literarischer Qualität mangelte, war es unnötig, sich intellektuell damit auseinanderzusetzen. Aber, so redete er sich ein, wenn er zeigen konnte, dass sein Werk Resultat ernsthafter Arbeit war und es ehrenvoll verteidigt werden konnte, dann würden die Menschen – die Muslime – ihre Ansicht über das Buch und über ihn ändern. Mit anderen Worten: Er wollte beliebt sein. Der unbeliebte Junge aus dem Internat wollte sagen können: »Seht alle her, was mein Buch und mich angeht, da habt ihr euch geirrt. Es ist kein böses Buch; ich bin ein guter Mensch. Lest diesen Artikel, und ihr werdet sehen.« Das war dumm. In seiner Einsamkeit aber redete er sich ein, dass es möglich sei. Worte hatten ihn in dieses Dilemma gebracht; Worte würden ihn auch wieder rausbringen.
    Die Helden der griechischen und römischen Antike, Odysseus, Jason und Äneas, sahen sich früher oder später genötigt, ihre Schiffe zwischen den beiden Seeungeheuern Skylla und Charybdis hindurch zusegeln, wohl wissend, dass es ihren Untergang bedeutete, wenn sie in die Fänge des einen oder des anderen Monsters gerieten. Er sagte sich nun mit allem Nachdruck, dass er, was immer er auch schriebe, ob

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