Joseph Anton
Unterdrückungsapparat, dessen Symbol die Mauer war, jemals in sich zusammenfallen könnte. Und doch kam der Tag, an dem offensichtlich wurde, dass der sowjetische Terrorstaat von innen verfault war; fast über Nacht schwand er dahin wie Sand im Wind. Sic semper tyrannis . Er schöpfte neue Kraft aus der Freude der tanzenden Jugendlichen.
Es gab Zeiten, in denen die Ereignisse sich in dramatischem Tempo überstürzten. Hanif Kureishi debattierte im ICA mit Shabbir Akhtar und telefonierte anschließend, um ihm zu sagen, was für ein kraftloser, inkompetenter Gegner Akhtar gewesen war. Anthony Barnett, Schriftsteller, Mitbegründer der Charter 88 und sein Freund, diskutierte mit dem Parlamentsabgeordneten Max Madden über die Blasphemiegesetze und fand in ihm ebenfalls einen schwächlichen, feigen Gegner. Anthony Cheetham und Sonny Mehta von Random House und Knopf sagten, sie wollten mit Mr Greenup sprechen, ehe sie Verträge für künftige Bücher unterzeichneten. Ein deprimierender Ge danke, doch erklärte Greenup zu seiner Überraschung, dass er, was die Zukunft angehe, keine Probleme sehe und dies Cheetham und Sonny auch so sagen wolle. Unterdessen feuerte Penguin Tim Binding, jenen jungen Lektor, der sich so leidenschaftlich für Die satanischen Verse eingesetzt hatte. Mayer weigerte sich, Anrufe von Andrew Wylie entgegenzunehmen. Fred Halliday, der Iran-Spezialist, rief an, um ihm zu sagen, dass er sich mit Abbas Maliki getroffen hatte, Irans stellvertretendem Außenminister (übrigens auch einer der Männer, die 1979 die amerikanische Botschaft in Teheran stürmten). Maliki erzählte Fred, im Iran könne sich niemand gegen Khomeini stellen, doch wenn die britischen Muslime ihre Kampagne aufgäben, hülfe das auch dem Iran weiter. »Haben Sie eigentlich gewusst«, fügte Fred noch hinzu, »dass Piratensender unablässig Auszüge der Verse auf Farsi in den Iran ausstrahlen?«
Marianne redete immer noch davon, die Erzählungen ›Croeso i Gymru‹ und ›Urdu lernen‹ zu veröffentlichen, dann aber entschied sie plötzlich, sie seien noch nicht ›so weit‹. Er fand ihren emotionalen Wankelmut bedenklich. Jane machte ihm Vorhaltungen, weil er den Kontakt mit Marianne wieder aufgenommen hatte, ebenso Pauline Melville und Sameen. Was er sich dabei denn gedacht habe? Die Antwort lautete, er hatte sich überhaupt nichts dabei gedacht. Es war einfach passiert, mehr nicht.
Kalim Siddiqui machte erneut einige blutrünstige Bemerkungen, die diesmal aber von der britischen Staatsanwaltschaft untersucht wurden, und Anwalt Geoff Robertson sagte, es komme höchstwahrscheinlich zur Anklage, auf die aber dann doch mit Verweis auf eine ›ungenügende Beweislage‹ verzichtet wurde. Eine Videoaufnahme, die Siddiqui zeigte, wie er seinen Tod forderte, war offenbar nicht genug.
Es gab da in Nordlondon, in der Hermitage Lane 15, ein Haus, das der Polizei gefiel, weil es über eine ›integrierte Garage‹ verfügte, was ungesehenes Kommen und Gehen immens erleichtern würde. John Howley und Mr Greenup kamen zu ihm in die Wohnung in Chelsea. Ihnen waren die in Little Bardfield geschehenen ›Fehler‹ entsetzlich peinlich, und sie versicherten ihm, dass es keine Wiederholung derartiger Vorfälle und für ihn auch keinen Dev Stonehouse mehr geben werde. Vielleicht war es ihre Scham, die sie dazu brachte, einige Zugeständnisse zu machen. Dass er durch die alte Pfarrei Geld verloren hatte und nun erneut in eine andere Mietwohnung investieren musste, bedauerten sie. Und sie waren damit einverstanden, dass er die alte Pfarrei ›gelegentlich‹ als Unterkunft nutzte, solange der Mietvertrag noch galt. Sie waren auch willens, ihm zu ›erlauben‹, dass er öfter ausging und sich mit Freunden traf. Der wirkliche Durchbruch aber war, dass Zafar ihn künftig besuchen und bei ihm übernachten durfte. Na schön, wenn er denn darauf bestand, sollte dies auch für Marianne gelten. Schließlich war sie trotz allem noch seine Frau.
Anfang Dezember fuhr er mit Bill, dessen polnischer Freundin Alicja, sowie Zafar und Marianne übers Wochenende nach Little Bardfield. Zafar war schrecklich aufgeregt, er selbst auch, nur Marianne befand sich in einer merkwürdigen Verfassung. Einige Tage zuvor hatte sie sich dafür entschuldigt, ›gelogen‹ zu haben, aber jetzt sah er wieder dieses irre Glitzern in ihren Augen, und um Mitternacht ließ sie erneut eine Bombe platzen. Sie und Bill, sagte sie, hätten miteinander geschlafen. Er bat darum, allein
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