Joseph Anton
ließ in seinem Tagebuch alles unerwähnt, was zwischen ihnen falsch lief, um auf einem größtenteils nur imaginären Glück zu beharren. So groß ist die Sehnsucht nach Liebe. Sie lässt die Menschen Visionen vom Paradies sehen und den Beweis ihrer Augen und Ohren ignorieren, dass sie längst in der Hölle sind.
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Harun war fertig. Er rasierte sich den Bart ab und ließ nur einen Schnauzer stehen. Am Mittwoch, dem 4. April, wurde Zafar in die Hermitage Lane gebracht, und sein Vater überreichte ihm das Manuskript zu ›seinem‹ Buch. Das glückliche Leuchten im Gesicht des Jungen war die einzige Belohnung, die der Autor brauchte. Zafar las die Seiten rasch durch und sagte, er liebe das Buch. Das Urteil einiger Freunde fiel ebenfalls positiv aus. Nur, wer wird es veröffentlichen?, fragte er sich. Würden sich alle davor drücken? Tony Lacey bei Viking sagte Gillon im Vertrauen, dass die Taschenbuchausgabe von Die satanischen Verse ›vermutlich‹ am 28. Mai erscheine. Endlich, dachte er. Ist diese Hürde erst einmal genommen, konnte die Sache vielleicht langsam ein Ende finden. Lacey redete mit Gillon auch über Harun . »Nun, da das Taschenbuch bald erscheint, können wir vielleicht auch das neue Buch machen. Wissen Sie, wir sind nämlich stolz darauf, ihn zu verlegen.« Tony war ein guter, anständiger Mann, der in einer irrealen Situation versuchte, ein realer Verleger zu sein.
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Wieder allein in der Hermitage Lane, spielte er Super Mario zu Ende, besiegte den großen bösen Bowser und rettete die unerträglich rosafarbene Prinzessin Peach. Er war froh, dass Marianne seinen Triumph nicht miterlebte. Am Telefon wetterte sie immer noch über seine angeblichen Amouren und die Unzuverlässigkeit seiner Freunde. Er versuchte, es nicht allzu ernst zu nehmen. Am Nachmittag fuhr Pauline mit Zafar in das Haus in der St. Peter’s Street, weil der Junge ein paar Sachen holen wollte, seine Boxhandschuhe, einen Punchingball und diverse Spiele. »Mit Dad bin ich oft aufs Dach gestiegen«, erzählte er Pauline traurig. »Und ich fand’s ganz schön schwer, mich daran zu gewöhnen, dass er im Untergrund leben muss. Hoffentlich ist das bald vorbei.« Sie lud ihn auf eine Pizza ein, und er zitierte beim Essen beinahe pausenlos aus Harun . »Man hackt sogar Leber, / Nur mich hackt man nicht!«
Er hatte Pauline gebeten, für ihn auch einige Sachen zu holen, von denen allerdings mehrere fehlten. All seine alten Fotoalben, fünf insgesamt, die sein gesamtes Leben vor Marianne enthielten, waren verschwunden, ebenso sein persönliches Exemplar, Exemplar Nummer eins, der signierten und auf zwölf Bücher limitierten Ausgabe von Die satanischen Verse . (Später verkaufte ihm Rick Gekoski, ein amerikanischer Antiquar in London, Ted Hughes’ Exemplar dieser limitierten Edition, Exemplar Nummer elf. Es kostete ihn zweitausendzweihundert Pfund, diese Ausgabe seines eigenen Werkes zu erwerben.) Außer Pauline, Sameen und Marianne besaß niemand einen Schlüssel zum Haus. Zwei Jahre später schrieb der Journalist Philip Weiss in der Zeitschrift Esquire einen erschreckend unfreundlichen Artikel über ihn und einen sehr freundlichen über Marianne. Mindestens eines der Bilder stammte eindeutig aus den fehlenden Alben. Nachdem Andrew ein wenig Druck auf Esquire ausgeübt hatte, ließ man tatsächlich verlauten, dass Marianne das Foto geliefert hatte. Sie habe behauptet, es sei ein Geschenk gewesen. Etwa zur gleichen Zeit wurde die letzte Fassung des mit Maschine geschriebenen Manuskripts von Die satanischen Verse , das auch aus dem Haus in der St. Peter’s Street verschwunden war, Händlern zum Verkauf angeboten. Rick Gekoski erzählte, Marianne habe behauptet, auch dies sei ein ›Geschenk‹ gewesen, doch nahm sie den Text schließlich wieder vom Markt, da sie mit den dafür gebotenen Summen nicht zufrieden war. Es handelte sich um das falsche Exemplar; das wertvollste Manuskript, der mit seinen handschriftlichen Anmerkungen und Korrekturen versehene ›Arbeitstext‹, befand sich noch in seinem Besitz. Die Fotoalben wurden nie gefunden oder zurückgebracht.
Am 23. April war Robert Polhill, ein Professor der Universität Beirut, die erste amerikanische Geisel im Libanon, die von ihren Entführern, dem Islamischen Dschihad für die Befreiung Palästinas, freigelassen wurde. Vier Tage später kam auch Frank Reed, der einstige Direktor der libanesischen International School, nach vier Jahren Gefangenschaft frei. Botschafter Busby hatte
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