Joseph Anton
war ein Mann ohne Armeen, der sich gedrängt sah, ständig an vielen Fronten zu kämpfen. Da war die private Front seines gehei men Lebens mit Geducke und Gekauere, Herumschleichen und Ver stecken, mit seiner Angst vor Klempnern und anderen Handwerkern, der nervigen Suche nach Unterkünften und dieser grässlichen Perücke. Dann war da die Publikationsfront, an der er trotz aller Arbeit nichts für selbstverständlich halten durfte. Es wusste nicht einmal, ob er das von ihm gewählte Leben fortsetzen konnte, ob er stets willige Hände fand, die seine Werke druckten und unter die Leute brachten. Und dann war da noch die harsche, brutale Welt der Politik. Wenn er ein Fußball wäre, dachte er, konnte er sich dann seiner selbst bewusst sein und sich ins Spiel werfen? Konnte der Fußball das Spiel verstehen, während er hin und her getreten wurde? Konnte der Fußball im eigenen Interesse handeln, sich vom Spielfeld nehmen, sich außer Reichweite der beschuhten, zutretenden Füße bringen?
Da gab es einen Mann namens Peter Temple-Morris, Parlamentsmitglied, einen Mann mit Haaren so cremig wie Vanilleeis, die den großen Kübel seines Gesichts umwellten, ein anständiger, bekannter Mann, ein konservatives Mitglied der anglo-iranischen Parlamentsgruppe und jemand, der sich um sich selbst keine Sorgen machte, der aber jetzt, als die amerikanischen Geiseln aus dem Libanon freigelassen wurden, behauptete, die ›moralische Verantwortung‹ für das Schicksal der britischen Geiseln liege nun beim Autor von Die satanischen Verse , weshalb er von einer Taschenbuchausgabe absehen solle. Es folgte eine wahre Lawine an Kritik. Die Unterstützergruppe der Geisel John McCarthy verlangte: »Rushdie muss sich entschuldigen.« In der Daily Mail warf ihm McCarthys Vater Patrick vor, man halte John nur noch seinetwegen fest. An seinen Problemen, so David, der Bruder der Geisel Terry Waite, sei er »selbst schuld«, und fügte dann in Sachen Taschenbuchausgabe hinzu: »Man kann nicht immer alles haben, was man haben will.« David fand, man müsse auf das Taschenbuch verzichten, und der Autor solle sich dafür entschuldigen, dass er die gläubigen Muslime beleidigt hatte. All diese Feindseligkeiten blieben nicht ohne Folgen. Der Daily Telegraph veröffentlichte eine Umfrage, der zufolge die Mehrheit der Befragten fand, dass Salman Rushdie sich für Die satanischen Verse entschuldigen müsse. Eigene Quellen trugen ihm zu – allerdings fand er nie heraus, ob es auch stimmte –, William Waldegrave habe Penguin insgeheim geraten, das Taschenbuch nicht zu bringen, da dies negative Folgen für die britischen Geiseln und den britischen Geschäftsmann Roger Cooper haben könne, der noch immer im Evin-Gefängnis in Teheran einsaß.
So weit also war es durch Penguins Ausflüchte gekommen, aber vielleicht hatte Mayer dies von Anfang an gewollt: einen respektablen Grund, das Taschenbuch nicht zu veröffentlichen.
Robert Runcie, der Erzbischof von Canterbury, traf sich mit Abdul Quddus vom Rat der Moscheen in Bradford. Quddus erzählte dem Erzbischof, dass ihm vor kurzem im Iran ein Mitglied des iranischen Majlis versichert habe, der von libanesischen Geiselnehmern gefangen genommene Emissär des Erzbischofs, Terry Waite, sei noch am Leben, käme aber nur frei, wenn man Rushdie an den Iran auslieferte . Seine Aussage wurde von Hussein Musawi von der libanesischen Shia-Gruppe Islamischer Amal bekräftigt, der sagte, eine bri tische Geisel könne freigelassen werden, »wenn England Rushdie deportiere«, und warnte, falls man nichts gegen den Autor unternehme, würden Terry Waite, John McCarthy und die dritte britische Geisel, Jackie Mann, nicht freikommen. Diese Neuigkeiten, die in Karatschi im Radio kamen, machten seiner Mutter große Angst, und Sameen musste sie trösten.
Er hatte versucht, ein Treffen mit William Waldegrave zu vereinbaren, um ihn zu fragen, was die Regierung zur Beilegung der Krise plane. Nun aber erzählte Waldegrave Harold Pinter, dass die Regierung – soll heißen: Margaret Thatcher – den Gedanken für ›alarmierend‹ halte, dass ein solches Treffen stattfinden und Kunde davon an die Presse dringen könnte. Es war allgemein bekannt, dass er kein Anhänger der Thatcher-Regierung war. Nun schien die Regierung der Auffassung zu sein: Okay, wir sorgen dafür, dass er am Leben bleibt, aber wir müssen uns ja deshalb nicht mit ihm treffen oder uns einen Aktionsplan überlegen. Sehen wir zu, dass er in seiner Kiste bleibt, und
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