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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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die Wahrheit gesagt.
    *
    Marianne war eine Frau mit vielen Notizbüchern, und es war ein Notizbuch, das ihre Ehe beendete. Er sollte nie erfahren, ob sie das Notizbuch absichtlich in der Hermitage Lane liegenließ, damit es zu jenem endgültigen Bruch führte, den sie angeblich nicht wollte. In Junichiro Tanizakis großem Roman Der Schlüssel , Mariannes bösem Buch, führten ein Mann und eine Frau jeweils ein ›geheimes‹ Tagebuch, das aber gefunden und gelesen werden sollte. In Tanizakis Buch steckte eine erotische Absicht dahinter. In seinem Leben dagegen diente das gefundene Tagebuch einem simpleren Zweck. Es erzählte ihm die Wahrheit, die er vor sich zu verbergen gesucht hatte. Während ihrer amerikani schen Lesereise hatte Marianne geschrieben, dass sie keinen Grund habe, in England zu sein, dass er sie zur Rückkehr dränge, obwohl er wisse, dass sie nicht kommen wolle. Sie hatte in Amerika ein Haus gemietet. Das war ihm neu. Sie wusste, er konnte nicht nach Amerika, trotzdem traf sie Pläne für ihre Abreise. Sie hatte die Nase voll, was er sehr gut verstehen konnte. Ja, sie soll gehen , dachte er, und möge diese Trennung allmählich zu einem Ende führen .
    Der Rest des Tagebuchs war noch düsterer. Sie sagte, er habe Angst vor Frauen. Ja , dachte er, vor dir habe ich durchaus ein wenig Angst . Sie hasste seine Beziehung zu seiner geliebten Schwester Sameen und machte mehrere abfällige, anzügliche Bemerkungen über sie.
    Sie war wieder in London. Er gestand, dass er ihr Tagebuch gelesen hatte und die Ehe nicht fortführen könne. Sie regte sich auf und behauptete, ihn zu lieben, und dass das, was er gefunden habe, ihr ›schwarzes Tagebuch‹ sei, in dem sie ihre schlimmsten Gedanken festhielt, um sich durchs Schreiben davon zu befreien. Das klang beinahe plausibel. Er hatte diese Schreibmethode selbst schon angewandt, seine Ängste, Schwächen, Gelüste und Fantasien zu Papier gebracht und sie dann in den Müll geworfen. Doch was in ihrem Journal stand, war zu kategorisch, zu breit gestreut, um reiner Ärger und Widerwille zu sein. Das war, was sie wirklich dachte. Er fragte, warum sie ihm nichts von dem Haus in den Staaten erzählt hatte, und sie stritt ab, es gemietet zu haben. Doch er hatte mit Gillon geredet, der meinte, sie habe ihm auch schon davon erzählt, und er sagte: »Ich will mich nicht mit dir streiten. Warum? Der Krieg ist vorbei.« Marianne ging.
    Er rief Sameen an, um sie zu fragen, ob etwas Wahres an Mariannes Vorwurf sei, dass er seine Schwester schlecht behandle. Sie sagte, was er wusste: Dass es bei der bedingungslosen Liebe, die sie füreinander empfanden, keine Probleme geben könne. Ihn hatte das Gelesene aufgewühlt, doch empfand er nun vor allem Erleichterung. Dieser Teil des Albtraums war jetzt vorbei.
    Für den nächsten Tag hatte die Polizei eine wundervolle Überraschung geplant. Zafar und er durften auf einem Polizeiboot über die Themse donnern bis hinab zur Thames Barrier und darüber hinaus, dann zurück zum Hauptquartier der Wasserschutzpolizei in Wapping. Zafar hatte einen Riesenspaß.
    *
    Alberto Vitale, der Geschäftsführer von Random House, Inc., erzählte Andrew, dass ihn der letzte Satz von ›Ist nichts heilig?‹ – »Überall auf der Welt, wo dieses kleine Zimmer der Literatur geschlossen wurde, sind früher oder später die Mauern eingestürzt« – sehr bewegt habe und dass Random House aufs Neue daran interessiert sei, nicht nur Harun und das Meer der Geschichten, sondern auch Rushdies künftige Bücher zu publizieren. Allerdings fügte Vitale hinzu, dass er im Vertrag eine ›Schutzklausel‹ wolle, die es Random House erlaube, Anspruch auf Schadenersatz zu erheben, falls Rushdie etwas schriebe, das »für seine Mitarbeiter gefährlich« werden könne. Trotz dieser Klausel hielten es Andrew und Gillon für eine gute Idee, von Peter Mayer zu Random House zu wechseln. »Etwas so Demütigendes wie diese ›Schutzklausel‹ kommt mir nicht in den Vertrag«, sagte er seinen Agenten und setzte dann zur Bekräftigung hinzu: »Nur über meine Leiche.« Andrew glaubte, dass Random House in diesem Punkt noch nachgeben würde. Sonny Mehta hatte Harun zu Ende gelesen; es gefiel ihm. Innerhalb weniger Tage war der Deal mit Random House abgeschlossen. Vitale wollte damit nicht an die Öffentlichkeit, sondern ihre Vereinbarung so lang wie möglich geheim halten. Sonny Mehta und Andrew waren jedoch der Meinung, dass sie eine Presseverlautbarung aufsetzen sollten.
    Er

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