Joseph Anton
›Abschüttel‹-Prozesse und Polizisten, die Vorhänge zuzogen. Der Krebs befand sich in partieller Remission, und er sah nicht so hager aus, wie es in letzter Zeit leider zu oft der Fall gewesen war. »Edward«, rief er, der nicht mehr Joseph Anton war, »du siehst wieder gesund aus! Und du hast sogar ein bisschen zugenommen!« – »Yeah«, erwiderte Edward leicht empört, »aber dick bin ich nicht, Salman.«
Er war ein Conrad-Kenner und wusste über den Matrosen James Wait an Bord der Narzissus Bescheid. Und er wusste auch, dass er leben musste, bis er starb, was er auch tat.
An jenem Abend im März 1990 in der Eton Road erzählte ihm Edward, dass er mit Arafat über seinen Fall gesprochen hatte – und es war keine Kleinigkeit für Edward, mit Jassir Arafat zu reden, den er schon lang verabscheute, weil er korrupt war und Terrorismus zuließ – und Arafat (der nicht nur korrupt und ein Terrorist, sondern auch ein Säkularist war und ein Antiislamist) hatte erwidert: »Natürlich unterstütze ich ihn, aber bei den Muslimen in der Intifada … was kann ich da tun …« »Vielleicht solltest du über die Intifada schreiben«, schlug Edward vor. »Deine Stimme ist für uns wichtig, und sie sollte zu solchen Themen wieder gehört werden.« Ja, erwiderte er, vielleicht. Sie ließen das Thema fallen und sprachen über Bücher, Musik und gemeinsame Freunde. Seine Lust, endlos über die Fatwa zu reden, war begrenzt, was viele seiner Freunde verstanden und deshalb rücksichtsvoll das Thema wechselten. Wenn es ihm möglich war, Leute zu sehen, war das wie eine Befreiung aus der Gefangenschaft, und das Letzte, was er dann wollte, war, über seine Ketten zu reden.
Er zwang sich, sich zu konzentrieren, und verbrachte jeden Tag Stunden damit, an Harun zu feilen und den Text zu überarbeiten. Doch die Woche verlief nicht wie geplant. Von der Polizei wurde ihm mitgeteilt, dass das Treffen mit Havel nicht zustande kam – die Tschechen hatten es offenbar aus Furcht um die Sicherheit des Präsidenten abgesagt. Stattdessen sollte er um 18 Uhr mit Havel in dessen Hotelzimmer telefonieren, dann würden sie miteinander reden können. Eine herbe Enttäuschung. Stundenlang konnte er hinterher nicht reden. Genau um 18 Uhr aber rief er die Nummer an, die man ihm genannt hatte. Es klingelte lang, dann hörte er eine Männerstimme. »Hier ist Salman Rushdie«, sagte er. »Spreche ich mit Präsident Havel?« Der Mann am anderen Ende schien tatsächlich zu kichern. »Nein, nein«, kam die Antwort. »Ist nicht der Präsident. Ist sein Sekretär.« – »Verstehe«, sagte er, »aber man hat mich gebeten, um diese Uhrzeit anzurufen, damit ich mit ihm sprechen kann.« Nach einer kurzen Pause erwiderte der Sekretär. »Ja. Sie müssen ein bisschen warten. Der Präsident ist im Bad.«
Jetzt , sagte er sich, weiß ich, dass es in der Tschechoslowakei eine Revolution gegeben hat . Der Präsident hatte bereits veranlasst, dass die Autos in seiner Wagenkolonne künftig verschiedenfarbig waren, um das Ganze ein bisschen aufzulockern. Außerdem hatte er die Rolling Stones eingeladen, für ihn zu spielen, und sein erstes amerikanisches Interview hatte er Lou Reed gewährt, da die Samtene Revolution Tschechiens nach Velvet Underground, dem Samtenen Untergrund, benannt worden war (womit Velvet Underground zur einzigen Band in der Geschichte wurde, die half, eine Revolution auszulösen, statt, wie die Beatles, nur davon zu singen). Dies war ein Präsident, auf den es sich zu warten lohnte, während er sich Zeit für die Toilette nahm.
Nach mehreren Minuten hörte er Schritte, und dann war Havel am Apparat. Er wusste eine ganz andere Geschichte darüber zu erzählen, warum ihr Treffen abgesagt worden war. Er hatte nicht gewollt, dass sie sich in der tschechischen Botschaft trafen. »Ich trau denen da nicht«, sagte er. »Da sind immer noch zu viele Leute vom alten Regime, merkwürdige Gestalten, die da herumlaufen, viele Oberste.« Der neue Botschafter, Havels Mann, war erst vor zwei Tagen ernannt worden und hatte noch keine Zeit gehabt, die Ställe auszumisten. »Ich geh da nicht hin«, sagte Havel. Die Briten hatten erwidert, dass sie nicht bereit seien, ihr Treffen irgendwo anders stattfinden zu lassen. »Stellen Sie sich vor«, sagte Havel. »Es gibt in England keinen Ort, den sie so sicher machen können, dass wir uns da treffen dürfen.« Es sei offensichtlich, fuhr er fort, dass die britische Regierung dieses Treffen nicht stattfinden lassen
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