Joseph Anton
ein großes, freistehendes Haus in Wimbledon gefunden, viel bequemer als das in der Hermitage Lane: ein geräumiges, dreistöckiges Ziegelgebäude mit einem achteckigen Turm an der Südseite. Die Polizei hatte es sich angesehen und gebilligt. Hermitage Lane war ein grässlicher Ort, hatte ihm aber sieben halbwegs ruhige Monate Unterkunft geboten. Jetzt wurde es Zeit, wieder umzuziehen.
*
Der Vertrag für Harun und das Meer der Geschichten war vom Verlag nicht unterzeichnet worden. Andrew verabredete sich mit Sonny Mehta und Alberto Vitale, um nach den Gründen zu fragen. Vor dem Treffen hatte Sonny zu Andrew gesagt: »Ich glaube nicht, dass es ein Problem gibt«, also gab es ganz offensichtlich ein Problem. Im Gespräch erklärte Vitale dann, er wolle den Vertrag aus ›versicherungstechnischen Gründen‹ nicht unterschreiben. Sie standen in Verhandlung, das Verlagsgebäude zu kaufen, und wollten nicht, dass sein Buch zum Thema wurde. Man bot ihm daher an, zwei Drittel vom vereinbarten Vorschuss für eine ›Publikationsoption‹ zu zahlen, und wollte das restliche Drittel überweisen, sobald der Autor mit Sonny ›Lek toratsfragen‹ geklärt hatte. »Der Autor sollte unterschreiben«, sagte Vitale, »wir aber warten noch ab.« Andrew rief an, um ihm die Neuigkeiten mitzuteilen. »Nein«, brach es wütend aus ihm heraus. »Blas den Deal ab und sag ihnen, ich verklage sie wegen Vertragsbruch. Lieber veröffentliche ich gar nicht, als dass ich mich derart demütigen lasse.« Noch am Nachmittag traf sich Andrew erneut mit Vitale und Sonny, und sie gaben klein bei. Ja, sagten sie, sie würden unterschreiben. Es blieb ein bitterer Nachgeschmack, aber diese Runde hatte er immerhin gewonnen.
An seinem dreiundvierzigsten Geburtstag brachte ihm Gillon den Vertrag zur Unterschrift. Er enthielt eine ›Geheimhaltungsklausel‹, der zufolge er vom Vertrag erst zu einem Zeitpunkt erzählen durfte, der vorab mit Random House vereinbart werden musste. Er witterte Böses, unterschrieb aber trotzdem. Und beinahe sofort bestätigte sich seine Vermutung. Sonny Metha weigerte sich, Harun zu veröffentlichen, solange es nicht entsprechend seinen Angaben umgeschrieben wurde.
Er kannte Sonny Mehta seit zehn Jahren, seit jenen Tagen, in denen Sonny bei Picador Books in London Mitternachtskinder als Taschenbuch herausgebracht hatte. In all der Zeit hatte er gemeint, in ihm einen Freund zu haben, auch wenn Sonnys berüchtigte Reserviertheit es schwierig machte, ihm nahezukommen. Sonny war ein Mann weniger Worte und noch weniger Telefongespräche, lieber lächelte er geheimnisvoll hinter seinem Spitzbart und überließ das Reden und gesellschaftliche Leben seiner extravaganten Frau Gita, doch war er ein Mann von Geschmack, Integrität und Eleganz (edle Blazer zu Röhrenjeans), der stets loyal zu seinen Autoren hielt. Am 26. Juni 1990 rief er Andrew an und bestand darauf, dass Harun umgeschrieben und das Land, in dem es spielte, geändert werden musste. Das ›Tal von K‹, sagte er, sei ganz offensichtlich Kaschmir, und Kaschmir sei ein höchst umstrittener Ort, dessentwegen bereits Kriege geführt wurden, ein Ort, an dem islamische Dschihadisten aktiv waren, weshalb es fraglos aus dem Buch verschwinden müsse – vielleicht, schlug er vor, könne die Geschichte ja in der Mongolei spielen? –, wenn man nicht wolle, dass es »massenhaft Leichen« gebe und »Salman bald schlimmer dran ist als jetzt«. Harun , versicherte er Andrew, ist noch viel provozierender und gefährlicher als Die satanischen Verse .
Er versuchte, die Kinderfabel mit diesem entstellten Blick zu lesen, doch selbst mit derart verzerrter Perspektive ließ sich das Buch eigentlich nur als ›pro Kaschmir‹ verstehen. Bei der Figur ›Mr Abergutt‹ (im Original: Snooty Buttoo) handelte es sich allerdings um das satirische Porträt eines indischen Politikers, und vielleicht war Sonny deshalb gegen das Buch, weil er selbst aus einer Diplomatenfamilie stammte und seine Frau, die Tochter des Ministerpräsidenten von Orissa, in Delhis höchsten Politikerkreisen verkehrte. Wenn Sonny sich aber derart vor der Veröffentlichung eines Kinderbuches fürchtete, wie wollte er dann auf Erwachsenenromane reagieren, die er in Zukunft noch schreiben mochte?
Es sollte noch schlimmer kommen. Sonny plante, den Namen des Autors aus dem gesamten Herstellungsprozess herauszuhalten. Al berto Vitale hatte bizarrerweise auf Geheimhaltung bestanden, weil das norwegische Konsulat zu den
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