Joseph Anton
sich nicht darum bewerben, Christopher Sinclair-Stevenson, der gerade sein eigenes kleines, unabhängiges Verlagshaus gegründet hatte, sagte, das Unternehmen sei noch ›nicht flügge genug‹ und würde sich übernehmen. Christopher MacLehose von Harvill konnte nicht mitbieten, weil Murdochs HarperCollins bei Harvill die Aktienmehrheit besaß. Faber & Faber blieb eine Möglichkeit, aber Bill wollte das Buch unbedingt für Granta Books, dasneueImprint der Zeitschrift Granta . »Du brauchst jemanden, der dein Werk ganz normal mitsamt der Aufregung und dem Bohei herausbringt, die ein Buch verdient«, sagte er. »Du musst den Lesern noch einmal neu als Autor vorgestellt werden, und das möchte ich für dich mit diesem Buch machen.« Bis sich die Möglichkeit ergab, Harun zu veröffentlichen, hatte Bill ihm immer wieder nahegelegt, Blake Morrison doch zu erlauben, dass er seine autorisierte Biografie schriebe, damit die Leser nicht länger nur den Skandal sahen, sondern auch den Menschen kennenlernen konnten. Blake war ein ausgezeichneter Schriftsteller und würde seine Sache sicher gut machen, das wusste er, aber er wollte sein Privatleben nicht derart ins Öffentliche rücken. Und wenn die Zeit dafür kam, wenn die Geschichte erzählt werden wollte, dann wollte er derjenige sein, der sie schrieb. Eines Tages , sagte er Bill, mach ich das selbst .
Nun war die Sache mit der Biografie vom Tisch. Bill bat Gillon, man möge ihm erlauben, Harun herauszubringen. Seine Begeisterung tat gut und wirkte ansteckend. Granta Books wurde über Penguin vertrieben, und das, sagte Gillon, könnte eine ›elegante Lösung‹ sein. Auf diese Weise wurde ein Bruch mit Penguin vermieden, der sich in der Öffentlichkeit nachteilig auswirken könnte, aber die Leute bei Penguin waren trotzdem nicht unmittelbar an der Publikation beteiligt. Plötzlich waren bei Viking alle von dieser Idee begeistert. Ihnen gefiel die Möglichkeit, das Gesicht zu wahren. Bill sagte, auch die Reaktion der Vertreter sei ›sehr positiv‹ gewesen. Peter Mayer schrieb in einem Brief, er hoffe, dies sei ein neuer Start, und Rushdie schrieb zurück, dass er diese Hoffnung teile. In England wollte man so rasch wie möglich mit dem Buch herauskommen, noch im September, um vom Weihnachtsverkauf zu profitieren, und Penguin USA erklärte sich einverstanden. Der Deal war perfekt und wurde, kaum vereinbart, auch schon publik gemacht. Auf das Tempo kam es an. Wenn Sonny genügend Zeit blieb, seinen vielen Freunden im Verlagswesen zu erklären, dass er sich geweigert hatte, Harun zu veröffentlichen, weil der Autor darin erneut eine Zeitbombe versteckt habe, ohne deutlich auf die Gefahren hinzuweisen, dann erhielte dieser Autor nie wieder Gelegenheit, ein Buch zu veröffentlichen. Dass es nicht so weit kam, war Bill Bufords Mut und Entschlossenheit zu verdanken.
Gita Mehta erzählte einem gemeinsamen Freund: »Ich glaube, er ist im Moment nicht gut auf uns zu sprechen.«
*
Marianne fehlte ihm. Er wusste, nach all dem, was passiert war, nach der CIA -Geschichte und dem schwarzen Tagebuch, sollte er nicht versuchen, zu ihr zurückzukehren, doch mit Leib und Seele fehlte sie ihm. Wenn sie telefonierten, stritten sie sich. Gespräche, die mit Ich hoffe, es geht dir gut begannen, endeten mit Ich hoffe, du krepierst . Doch Liebe, was immer er auch darunter verstand, was immer sie darunter verstand, das Wort Liebe hing immer noch zwischen ihnen in der Luft. Seine Mutter hatte Jahrzehnte ihrer Ehe mit seinem zornigen, enttäuschten, alkoholkranken Vater nur dadurch überlebt, dass sie entwickelte, was sie nicht Gedächtnis, sondern ›Vergessnis‹ nannte. Sie wachte jeden Morgen auf und vergaß den Tag zuvor. Und ihm selbst schien auch ein Gedächtnis für Probleme zu fehlen, weshalb er sich beim Aufwachen nur an das erinnerte, wonach er sich sehnte. Doch handelte er nicht entsprechend. Marianne war nach Amerika geflogen, und so war es wohl am besten.
Er wusste, irgendwo jenseits des steten Drucks der Ereignisse war er zutiefst deprimiert, und seine Reaktionen auf die Welt waren unnormal geworden. Ich bitte euch, spottet meiner nicht , wie Lear sagte. Ich fürchte, ich bin nicht bei meinem völligen Verstande . Vielleicht sah er in ihr die physische Realität seines alten Lebens, das Gewöhnliche , verdrängt vom Außergewöhnlichen seiner Gegenwart. Vielleicht war dies, was von ihrer Liebe blieb, die Liebe zum Gestern, die Sehnsucht am Tag danach nach dem Tag zuvor.
Er
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