Joseph Anton
Titel stammte aus einem Brief von Henry James senior an seine Söhne Henry und William, ein Satz, der dem Buch als Motto vorangestellt worden war: »Einem jeden, der zumindest den geistigen Kinderschuhen entwachsen ist, dämmert der Verdacht, dass das Leben keine Farce ist, dass es nicht einmal eine elegante Komödie, dass es im Gegenteil aus den tiefsten tragischen Tiefen des essentiellen Mangels erblüht und Frucht trägt, jenes Mangels, in den die Wurzeln seines Gegenstandes versenkt sind. Das natürliche Erbe eines jeden, der eines geistigen Lebens fähig ist, ist ein ungezähmter Wald, in dem der Wolf heult und der obszöne Vogel der Nacht plappert.«
Er lag wach, sah der schlafenden Elizabeth zu, und in seinem Zimmer wuchs und wuchs der ungezähmte Wald wie jener andere Wald in Sendaks großartigem Buch, der Wald, der sich hinter dem Ozean erstreckte, hinter dem sich wiederum jener Ort befand, wo die wilden Kerle waren. Da lag ein Boot für ihn bereit, mit dem er fortsegeln konnte, und am Strand, dort, wo die wilden Kerle hausten, wartete ein Zahnarzt. Vielleicht waren die Weisheitszähne ja doch ein Omen gewesen. Vielleicht waren Omen, Weissagungen, Wahrsagungen, Prophezeiungen und all die Dinge, an die er gar nicht glaubte, doch realer, als er ahnte. Wenn es fledermausflügelige Ungeheuer gab und Monster mit Glubschaugen, wenn es Teufel gab und Dämonen, dann gab es vielleicht auch einen Gott. Ja, und vielleicht verlor er den Verstand. Der verrückte, blöde und am Ende tote Fisch ist es, der nach dem Haken Ausschau hält.
Der Angler, der den verrückten Fisch fing, die Sirene, die sein Boot gegen die Klippen lenkte, war Hesham el-Essawy, ›holistischer Zahnarzt‹ aus der Harley Street. (Vielleicht hätte er besser auf die Weisheit seiner Zähne gehört.) Essawy war eine höchst unwahrscheinliche Besetzung für diese Rolle, obwohl er entfernt dem fülligeren Peter Sellers glich, doch der verzweifelte Fisch, zwei Jahre gefangen im Aquarium, in gedrückter Stimmung, das Selbstwertgefühl darnieder, suchte nach einem Ausweg, nach irgendeinem Ausweg, und hielt den zappelnden Wurm des Anglers für den Schlüssel.
*
Es kam zu einem weiteren Treffen mit Duncan Slater in Knightsbridge, doch diesmal war noch jemand anwesend, David Gore-Booth, ein Überflieger aus dem Außenministerium. Gore-Booth war in New York bei den Gesprächen mit den Iranern dabei gewesen und hatte sich bereit erklärt, ihn persönlich zu informieren. Er war arrogant, gescheit, taff und direkt, und vermittelte darüber hinaus den Eindruck, dass seine Sympathien in dieser Angelegenheit – Arabist, der er war – nicht beim Autor, sondern bei dessen Kritikern lagen. Seit Lawrence von Arabien hielt es das Außenministerium eher mit der muslimischen Welt (Gore-Booth sollte in Israel noch ziemlich unpopulär werden), und seine Oberen ließen oft eine leichte Irritation erkennen angesichts der Schwierigkeiten in den britischen Beziehungen zu dieser Welt, die auch noch ausgerechnet von einem Schriftsteller verursacht wurden. Jedenfalls sagte Gore-Booth, dass die vom Iran erhaltenen Zusicherungen ›real‹ seien. Man bestehe nicht auf der Ausführung des Todesbefehls. Nur komme es nun darauf an, daheim die Wogen zu glätten. Könnte man die britischen Muslime überreden, die Hunde zurückzupfeifen, würde man sicher bald wieder zur Normalität zurückkehren. »Und das Überreden«, sagte er, »fällt nun offensichtlich in Ihr Metier.«
Frances D’Souza reagierte begeistert optimistisch auf seinen Bericht vom Treffen mit Gore-Booth. »Ich schätze, wir haben einen Deal«, sagte sie. Gore-Booth’ kaum verhüllte Verachtung für das, was er vermeintlich getan hatte, fand er allerdings ziemlich bedrückend. Das fällt in Ihr Metier . Prinzipientreue wurde als Starrköpfigkeit gedeutet. Sein Versuch, die Stellung zu halten, darauf zu beharren, dass er das Opfer einer großen Ungerechtigkeit und nicht der Täter war, wurde ihm als Arroganz ausgelegt. Man tat so viel für ihn, warum verhielt er sich da so stur? Er hatte diese Sache angefangen; er musste sie auch zu Ende führen.
Diese Einstellung, die sich immer weiter ausbreitete, belastete ihn, und er hatte zunehmend Mühe zu glauben, dass er sich zu seinem eigenen Besten verhielt. Vielleicht war ein Minimum an Dialog mit den britischen Muslimen ja unerlässlich. Frances sagte, Essawy hätte sich mit Artikel 19 in Verbindung gesetzt und als Vermittler angeboten. Intellektuell war Essawy keine
Weitere Kostenlose Bücher