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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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zurückkehrte.
    *
    An dem Tag, an dem Harun und das Meer der Geschichten he rauskam, am 27. September 1990, nahmen der Iran und das Vereinigte Königreich ihre diplomatischen Beziehungen teilweise wieder auf. Duncan Slater rief aus New York an, um zu versichern, dass ›Zusagen gemacht wurden‹. Iran würde nichts unternehmen, um die Fatwa durchzusetzen. Allerdings könne sie auch nicht aufgehoben werden, und das Angebot von mehreren Millionen Dollar Kopfgeld (Ayatollah Sanei, der das ursprüngliche Angebot gemacht hatte, erhöhte immer wieder die Summe) blieb bestehen, da dies ›mit der Regierung nichts zu tun‹ hatte. Slater versuchte, die Vereinbarung als positiven Schritt hinzustellen, doch kam sie ihm wie ein Ausverkauf seiner Interessen vor. Er konnte keiner Abmachung vertrauen, die seinetwegen von Douglas Hurd getroffen wurde.
    Geheimdienste und Special Branch schienen derselben Ansicht zu sein, jedenfalls gab es in ihrer Einschätzung seiner Gefährdung keine Änderung. Er blieb auf Stufe zwei, gleich hinter der Queen. Auch am Arrangement zu seinem Schutz würde sich nichts ändern. Das Haus in der St. Peter’s Street blieb verriegelt und verrammelt. Man würde ihm nicht erlauben , nach Hause zurückzukehren.
    Dennoch gab es für ihn einen neuen Anfang. Und im Augenblick war nichts wichtiger. Harun verkaufte sich gut, Sonny Mehtas Albtraumszenario blieb auf das Land seiner bösen Träume beschränkt. Keine Kaschmiri erhoben sich, empört über einen redenden künstlichen Wiedehopf. In den Straßen floss kein Blut. Sonny hatte sich vor Schatten gefürchtet, und nun, bei Tageslicht, erwiesen sich seine Buhmänner als ebenjene bedeutungslosen Nachtmahre, die sie gewesen waren.
    Man erlaubte ihm, kurz aus dem Untergrund aufzutauchen und in einem Londoner Buchladen, in Waterstone’s in Hampstead, unangekündigt Exemplare von Harun und das Meer der Geschichten zu signieren. Zafar kam, um zu helfen; er reichte ihm die Bücher; und ein gütiger, grinsender Bill Buford wachte über ihn. Eine Stunde lang durfte er sich wieder wie ein Autor fühlen. Allerdings entging ihm keineswegs die Nervosität in den Augen seiner Bodyguards. Nicht zum ersten Mal begriff er, dass sie auch Angst hatten.
    Zu Hause wartete Elizabeth. Sie kamen sich mit jedem Tag näher. »Ich habe Angst«, vertraute sie ihm an, »ich werde für dich zu einem Risiko.« Er gab sich Mühe, ihr diese Sorge zu nehmen. Ich liebe dich und lasse dich nicht wieder gehen . Sie fürchtete, er sei mit ihr nur mangels Besserem zusammen und dass er, wenn die Drohungen aufhörten, nach Amerika gehen und sie verlassen würde. Er hatte ihr von seiner Vorliebe für New York erzählt, von seinem Traum, dort eines Tages in Freiheit zu leben. Er, dessen Leben eine Abfolge von Entwurzelungen gewesen war (die er versuchen würde, als ›Vielfachverwurzelung‹ umzudeuten), verstand nicht, wie durch und durch englisch sie war, wie tief ihre Wurzeln reichten. Von den ersten Tagen an glaubte sie, in Konkurrenz mit New York zu stehen. Du verschwindest von hier und lässt mich allein zurück . Hatten sie einige Glas Wein getrunken, sorgte das manchmal für eine leichte Verstimmung, doch hielten sie beide diese gelegentlichen Irritationen nicht für wichtig. Meist waren sie glücklich miteinander. Ich bin sehr verliebt , schrieb er und wusste, wie erstaunlich es war, dass er diese Worte schreiben konnte. Er führte ein schwerbewachtes Leben und hätte nie vermutet, dass die Liebe einen Weg vorbei an den Grenzposten dieses seltsamen inneren Exils finden könnte. Und doch war sie da, an vielen Abenden und Wochenenden, radelte ihm fröhlich über die Themse entgegen.
    Aber nicht nur Liebe, auch Hass lag in der Luft. Der redselige Gartenzwerg des muslimischen Instituts wetterte weiter gegen ihn und erhielt dazu auch jede Gelegenheit. So sagte er auf Radio BBC , »nach Ansicht der höchsten Rechtsautoritäten des Islam« habe sich Salman Rushdie eines Kapitalverbrechens schuldig gemacht; jetzt bliebe nur noch übrig, »die Strafe in die Tat umzusetzen«. In einer Sonntagszeitung führte Siddiqui seine Überlegungen weiter aus. »Er muss mit seinem Leben bezahlen.« Seit über einem Vierteljahrhundert war in Großbritannien keine Todesstrafe mehr vollstreckt worden, durch die »Wut des Islam« aber wurde das Gerede über ›legale‹ Tötungen wieder salonfähig. Siddiquis Ansichten fanden im Libanon ein Echo in der Auffassung von Hussein Musawi, dem Anführer der Hisbollah. Er

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