Joseph Anton
besondere Leuchte, aber er war nett und meinte es gut. Frances schien dieser Weg jetzt der richtige zu sein. Der Kampagne zu seiner Unterstützung fehlte es an Geld, sechstausend Pfund wurden benötigt. Und Artikel 19 zur weiteren Unterstützung der Kampagne zu überreden, wurde immer schwieriger. Sie brauchten dringend irgendeinen Fortschritt.
Er rief Essawy an. Der Zahnarzt gab sich ausgesucht höflich, sprach mit sanfter Stimme und behauptete, für die Unannehmlichkeiten in seinem Leben großes Verständnis zu haben. Er konnte spüren, dass er beturtelt, beinahe mit Babygebrabbel zu einer Art Einverständnis überredet werden sollte, blieb aber trotzdem am Apparat. Essawy behauptete, helfen zu wollen. Er könne eine Zusammenkunft muslimischer Intellektueller organisieren, ›wahre Schwergewichte‹, mit denen er eine Kampagne in der gesamten arabischen Welt und auch im Iran starten wolle. »Ich bin Ihre beste Chance«, sagte er. »Ich möchte, dass Sie wie Ghazali zum Glauben zurückfinden.« Muhammad al-Ghazali, ein konservativer muslimischer Philosoph, war der Autor des hochgelobten Buches Die Inkohärenz der Philosophen , in dem er Aristoteles und Sokrates als Ungläubige und Verleumder des wahren Glaubens brandmarkte, ebenso den muslimischen Gelehrten Ibn Sina (Avicenna), der versucht hatte, von den großen Griechen zu lernen. Ibn Ruschd (Averroës), jener Aristoteliker, von dem sich Anis Rushdie den Nachnamen entlieh, hatte Ghazali mit dem ebenso hochgelobten Buch Die Inkohärenz der Inkohärenz geantwortet. Bislang glaubte er, dem Lager von Ibn Ruschd anzugehören, nicht dem der Ghazalier, doch wusste er, dass Essawy nicht auf Ghazalis Philosophie anspielte, sondern auf jenen Augenblick, als Ghazali eine persönliche Glaubenskrise durchlebte, die er erst überwand, als »der allerhöchste Gott ein Licht in meine Brust entsandte«. Er hielt es für ziemlich unwahrscheinlich, dass seine Brust in naher Zukunft das Licht der Allerhöchsten empfing, doch Essawy ließ nicht locker. »Ich glaube nicht an das gottesförmige Loch, von dem Sie geschrieben haben«, sagte er. »Dafür sind Sie auch ein viel zu intelligenter Mensch.« Als könnten Unglaube und Intelligenz nicht zusammen in einer Person existieren. Die Bedeutung dieses angeblich gottesförmigen Loches aber, wurde ihm nun erklärt, lag nicht allein darin, dass die Leere, wie er schrieb, mit Liebe und Kunst gefüllt werden müsse, sondern darin, dass es die Form Gottes hatte. Nun solle er nicht in die Leere, sondern auf den formgebenden Rand des Lochs schauen.
Unter normalen Umständen hätte er seine Zeit nicht mit einem solchen Gespräch verplempert, aber die Umstände waren alles andere als normal. Er sprach mit Sameen, die misstrauisch reagierte. »Du musst genau wissen, was Essawy will«, sagte seine Schwester. Essawy hatte vor kurzem einen Brief an Rafsandschani geschrieben, in dem er auf diesen ›unwürdigen Schriftsteller‹ anspielte. (»Das verzeihen Sie mir doch, nicht wahr?«, hatte er am Telefon verlogen scharwenzelt.) Und er hatte eine Forderung gestellt, die sich als großer Stolperstein erwies: »Sie dürfen Ihr Buch nicht verteidigen.«
Jedes Mal, wenn er Essawy anrief, spürte er, wie er tiefer hinein in ein Terrain gelockt wurde, aus dem er sich kaum noch zurückziehen konnte, und doch rief er immer wieder an. Und Essawy ließ ihm die Zeit, langsam, in dem ihm eigenen Tempo, mit vielen Rückzügen und Ausflüchten, dorthin vorzudringen, wo der Haken auf seinen bereitwilligen Mund wartete. Das Interview in der South Bank Show sei hilfreich gewesen, sagte der Zahnarzt. Seine früheren Aussagen zu Kaschmir und Palästina seien ebenfalls nützlich. Sie würden den Muslimen klarmachen, dass er nicht ihr Feind sei. Er solle ein Video drehen, in dem er seine Unterstützung kaschmirischer und pakistanischer Bestrebungen wiederholte. Dieses Video könnte man dann im Islamischen Kulturzentrum in London zeigen, wo es bestimmt dazu beitrüge, die Auffassung über ihn zu ändern. Vielleicht , antwortete er, ich denke drüber nach .
Über den Menschen Essawy hat er nie viel herausgefunden. Der Zahnarzt sagte, er sei glücklich verheiratet und seine Frau so liebevoll und aufmerksam, dass sie ihm in ebendiesem Moment, in dem sie miteinander telefonierten, die Fußnägel schneide. Dieses Bild vom Zahnarzt blieb in seinem Gedächtnis haften: ein Mann, der telefoniert, während eine Frau zu seinen Füßen kniet.
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Margaret Drabble und Michael Holroyd
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