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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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luden Elizabeth und ihn zum Wochenende nach Porlock Weir ein, zusammen mit dem Dramatiker Julian Mitchell und dessen Lebensgefährten Richard Rosen. Es war eine fröhliche Gesellschaft, aber er litt entsetzliche Qualen und verknotete seine Hirnwindungen in dem Versuch, Möglichkeiten zu finden, die seine Gegner zufriedenstellen mochten, stets auf der Suche nach Worten, die er sagen konnte – Worte, die zu sagen ihm möglich waren – und die hoffentlich aus diesem Engpass herausführten. Sie gingen spazieren, und während sie durch das üppige grüne Doone-Tal wanderten, debattierte er mit sich selbst. Möglicherweise konnte er eine Erklärung abgeben, der zufolge er der Kultur des Islam angehörte, nicht aber dem Glauben. Schließlich gab es auch nicht-religiöse, säkulare Juden; vielleicht konnte er für sich also eine Art säkulare Mitgliedschaft in einer muslimischen Gesellschaft gemeinsamer Traditionen und Kenntnisse fordern.
    Immerhin stammte er aus einer indisch muslimischen Familie. Das war die Wahrheit. Auch wenn seine Eltern nicht religiös gewesen waren, hatte doch ein Großteil seiner Familie diesem Glauben angehangen. Und er war zweifellos zutiefst von der muslimischen Kultur beeinflusst, denn als er die Historie von der Geburt einer fiktionalen Religion erzählen wollte, hatte er sich der Geschichte des Islam zugewandt, da er die am besten kannte. Außerdem hatte er sich in Essays und Interviews für die Rechte kaschmirischer Muslims eingesetzt und hatte in Mitternachtskinder eine muslimische – keine hinduistische – Familie in den Mittelpunkt seiner Geschichte von der Geburt eines unabhängigen Indien gerückt. Wie konnte man ihn da einen Feind des Islam nennen, wenn er doch all dies zu seinen Gunsten vorweisen konnte? Er war kein Feind. Er war ein Freund. Ein skeptischer, gar ein kritischer Freund, aber ein Freund.
    Wieder in Maggies und Michaels Haus, telefonierte er mit Essawy. Der Angler fühlte, dass der Fisch angebissen hatte, und wusste, es wurde Zeit, die Leine einzuholen. »Wenn Sie reden«, sagte er, »muss es klar und bestimmt sein. Keine Ausflüchte und Mehrdeutigkeiten.«
    *
    Die Polizei war einverstanden, dass er zu Bernardo Bertoluccis privater Vorführung seines neuen Films Himmel über der Wüste ging. An dem Film gab es rein gar nichts, was ihm gefiel. »Ah! Salman!«, rief Bertolucci. »Mir ist Ihre Meinung zu meinem Film sehr wichtig.« In dem Moment kamen ihm die richtigen Worte so wie damals, als Mike Wallace etwas über sein Sexleben wissen wollte. »Bernardo … es hat mir die Sprache verschlagen.« Bertolucci nickte verständnisvoll. »So geht es vielen Leuten«, sagte er.
    Auf dem Heimweg hoffte er auf ein drittes Wunder, darauf, dass ihm zum dritten Mal die richtigen Worte zur richtigen Zeit kamen, Worte, die britische Muslimführer weise und verständnisvoll nicken ließen.
    *
    Er beendete die Arbeit an seiner Essaysammlung Heimatländer der Phantasie , schrieb die Einführung und las Korrektur, als ihm vom Fernsehen der BBC ein Interview in der Late Show angeboten wurde. Der Interviewer würde sein Freund Michael Ignatieff sein, russisch-kanadischer Schriftsteller und Moderator, also durfte er sich wohlwollender Aufmerksamkeit sicher sein. In diesem Interview sagte er, was seiner Meinung nach alle Welt von ihm hören wollte. Ich rede mit muslimischen Führern und versuche, mit ihnen eine gemeinsame Ebene zu finden . Niemand wollte mehr etwas von Freiheit hören, vom unveräußerlichen Recht des Schriftstellers, seine Ansicht von der Welt so darzustellen, wie er es für angemessen hielt, davon, wie unmoralisch Bücherverbrennungen und Todesdrohungen waren. Diese Argumente hielt man für verbraucht. Sie erneut vorzubringen wäre sturköpfig und nicht besonders hilfreich gewesen. Die Leute wollten hören, dass er Frieden machte, damit der Ärger aufhörte und er wieder verschwand, fort von ihren Fernsehapparaten, aus ihren Zeitungen ins wohlverdiente Vergessen, wo er den Rest seines Lebens über das von ihm verursachte Böse nachdenken und Wege der Wiedergutmachung und der Entschuldigung suchen konnte. Niemand interessierte sich für ihn, für seine Prinzipien, für sein vermaledeites Buch. Sie wollten nur noch, dass er diese elende Geschichte endlich zu Ende brachte. Die gemeinsame Basis ist groß , sagte er, und es geht darum, sie solide auszubauen .
    Er biss in den saftigen Wurm, und auch als er den Haken spürte, machte er weiter.
    *
    Als wäre er durch Herbstlaub

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