Joseph Anton
einigermaßen erfolgreich war. Das war ein Strohhalm, an den man sich klammern konnte, aber nicht mehr.
Zafar kam zum Übernachten. Er unterdrückte seine Gefühle, genau wie seine Mutter, wenn es hart auf hart kam. »Wie geht’s Mum?« – »Gut.« Es war besser, ihn die Neuigkeit ganz in Ruhe verdauen zu lassen, statt ihn mit den Fakten zu konfrontieren und zu verängstigen. Clarissa hatte mit ihm gesprochen und auch das Wort Krebs fallenlassen. »Das hast du mir doch schon gesagt«, lautete seine Antwort, obwohl es gar nicht stimmte.
Die neuen Testergebnisse waren da. Blut, Lungen, Leber und Kno chenmark waren krebsfrei. Doch da es sich um ›bösartigen Krebs‹ handelte, war eine Brustamputation unvermeidbar, und zehn Lymphknoten mussten ebenfalls entfernt werden. Clarissa wollte eine zweite Meinung einholen, und er teilte ihren Wunsch. Er würde für sämtliche Kosten aufkommen. Sie suchte einen renommierten Onkologen namens Sikora am Hammersmith Hospital auf. Sikora hielt die Mastektomie für unnötig. Nach der Entfernung der Lymphknoten wären Chemotherapie und eine Strahlenbehandlung ausreichend. Als sie erfuhr, dass sie ihre Brüste behalten könnte, lebte sie förmlich wieder auf. Sie war eine schöne Frau, und die Verstümmelung ihrer Schönheit war ein harter Schlag für sie. Dann traf sie den Chirurgen, der die Lymphektomie durchführen sollte. Er hieß Linn und erwies sich als Kotzbrocken. Schätzchen , schleimte er, Herzchen, was wehrst du dich denn so gegen diese OP ? Er meinte, sie sollte sich die Brust entfernen lassen, widersprach damit vollkommen dem führenden Onkologen Sikora, erschütterte ihre neu gewonnene Zuversicht und machte den Wechsel vom Bart’s Hospital, wo sie sich seriös beraten und gut umsorgt gefühlt hatte, zum Hammersmith Hospital hinfällig. Sie bekam Panik und stand zwei Tage lang kurz vor der Hysterie, ehe sie endlich wieder mit Sikora sprechen konnte. Er versicherte ihr, an seiner Vorgehensweise werde sich nichts ändern. Clarissa beruhigte sich wieder und machte mit Zafar eine Woche Fahrradurlaub in Frankreich.
Sameen meinte, ihr Freund Kishu, ein New Yorker Chirurg, habe ihr gesagt, mit dieser Form des invasiven Krebses sei nicht zu spaßen, und man solle sich zu einer Brustamputation durchringen. Doch die Aussicht, ihre Brust zu behalten, hatte Clarissa unglaublich gutgetan. Es war so schwer, ihr einen Rat zu geben. Sie wollte seinen Rat nicht.
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Sein Anwalt Bernie Simons rief an. Das vorläufige Scheidungsurteil sei durch, und in wenigen Wochen, wenn das Urteil rechtskräftig sei, werde die Scheidung von Marianne vollzogen sein. Ach, stimmt, erinnerte er sich, ich lasse mich scheiden.
Bernard-Henri Lévy ließ ihm eine Nachricht zukommen. Gute Neuigkeiten: Er sollte den très important Prix Colette der Genfer Buchmesse erhalten. Nächste Woche müsse er in die Schweiz kommen und den Preis bei einem großen Festakt auf der Messe entgegennehmen. Doch die Schweiz ließ verlauten, sein Besuch sei nicht erwünscht und man werde ihm keinerlei polizeilichen Schutz gewähren. Er musste daran denken, wie Mr Greenup gesagt hatte, mit seinem Wunsch nach Selbstglorifizierung gefährde er die Bürger. Diesmal hatten die Schweizer Greenups gewonnen. Es würde keine Selbstglorifizierung geben. Die Schweizer Bürger würden in Sicherheit sein. Er konnte allenfalls bei der Genfer Buchmesse anrufen und telefonisch an der Preisverleihung teilnehmen. In seiner Rede sagte BHL , der Preis sei eine einmütige Entscheidung der Jury gewesen. Der Preis bleibe ›Colettes Geist‹ treu, meinte die Jurypräsidentin Mme Edmonde Charles-Roux, denn auch sie habe ›gegen Intoleranz gekämpft‹. Colettes Erben hingegen waren außer sich über die Preisvergabe und offenbar ganz und gar nicht der Meinung, dass die Wahl Salman Rushdies ›Colettes Geist‹ entspreche. Mit einem Verbot, Colettes Namen weiterhin zu verwenden, gaben sie ihrer Empörung Ausdruck. Und somit war er der letzte Gewinner des Prix Colette.
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Er musste sich mit einem neugierigen Nachbarn herumschlagen, einem älteren Herrn namens Bertie Joel. Mr Joel kam ans Tor und sagte in die Gegensprechanlage, ›in der nächsten Viertelstunde‹ solle jemand zu ihm rüberkommen. Elizabeth war nicht zu Hause, also musste einer aus dem Team gehen. Alle waren nervös; war Mr Antons Geheimidentität aufgeflogen? Doch es ging lediglich um ein verstopftes Abflussrohr, das zwischen den beiden Grundstücken verlief. Frank Bishop, der neue
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