Joseph Anton
werden wir alle hier im Louvre mit Ihnen kampieren und Bettzeug, Wein und Freunde mitbringen.« Das war eine nette, rührende Idee, doch er lehnte ab. »Wenn ich das tue, darf ich nie wieder einen Fuß auf französischen Boden setzen.« Christopher Mallaby verweigerte ihm die Unterbringung in der Botschaft. Doch irgendjemand, ob Engländer oder Franzosen, konnte British Airways dazu überreden, ihn nach London zurückzubringen. Zum ersten Mal seit vier Jahren saß er in einer BA -Maschine, ohne der Crew oder den Passagieren – von denen viele zu ihm kamen, um ihm ihre Solidarität und ihr freundschaftliches Mitgefühl auszudrücken – irgendwelche Schwierigkeiten zu bereiten. Nach der Landung ließ British Airways ihn allerdings wissen, man habe seiner Beförderung nur auf Druck Frankreichs ›auf lokaler Betriebsebene‹ zugestimmt und die nötigen Schritte eingeleitet, ›damit dies nie wieder vorkommt‹.
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U2s gigantische Zooropa- Tournee gastierte im Wembley-Stadion, und Bono rief an, um ihn zu fragen, ob er auf die Bühne kommen wolle. U2 wollte Solidarität bekunden, und dies schien der größtmögliche Rahmen dafür zu sein. Wundersamerweise hatte der Special Branch nichts dagegen. Vielleicht glaubten sie, islamische Killer seien nicht besonders scharf auf ein U2-Konzert, oder vielleicht wollten sie einfach nur die Show sehen. Er nahm Zafar und Elizabeth mit, und die erste Konzerthälfte saßen sie im Stadion. Als er aufstand, um hinter die Bühne zu gehen, sagte Zafar: »Dad … sing nicht.« Er hatte gar nicht vor zu singen, und U2 war bestimmt noch weniger daran interessiert, doch um seinen Teenagersohn zu ärgern, sagte er: »Wieso denn nicht? Diese irische Band ist gar nicht übel, und hier sind achtzigtausend Leute, also … singe ich vielleicht.« Zafar macht ein alarmiertes Gesicht. »Du verstehst das nicht, Dad«, sagte er. »Wenn du singst, muss ich mich umbringen.«
Hinter der Bühne stand Bono in seinem MacPhisto-Kostüm – goldener Glitzeranzug, weißes Gesicht, kleine rote Samthörner – und in Minutenschnelle dachten sie sich einen kleinen Dialog aus. Bono würde so tun, als riefe er ihn auf dem Handy an, und während sie ›redeten‹, würde er auf die Bühne kommen. Als er die Bühne betrat, begriff er, wie es sich anfühlte, von achtzigtausend Menschen bejubelt zu werden. Bei einer normalen Lesung – und selbst bei einem großen Galaabend wie der P.E.N.-Veranstaltung in Toronto – war das Publikum doch ein wenig kleiner. Mädchen kraxelten ihren Freunden nicht auf die Schultern, und von Stagediving wurde ebenfalls abgeraten. Selbst bei den glamourösesten literarischen Events gab es höchstens ein oder zwei Supermodels, die wippend neben dem Mischpult standen. Das hier machte schon mehr her.
Als er Der Boden unter ihren Füßen schrieb, war es nützlich zu wissen, wie es sich anfühlte, der Wucht der Scheinwerfer ausgesetzt zu sein und das Monster nicht sehen zu können, das einem aus der Dunkelheit entgegenbrüllte. Er bemühte sich tunlichst, nicht über das Kabelgewirr zu stolpern. Nach der Show machte Anton Corbijn ein Foto und überredete ihn, mit Bono Brillen zu tauschen. Einen Moment lang durfte er mit Mr Bs stromlinienförmiger ›The Fly‹-Sonnenbrille göttlich aussehen, derweil der Rockstar ihn über seine uncoole Literatenbrille hinweg wohlwollend anblinzelte. Es war ein bildlicher Ausdruck zweier Welten, die sich dank U2s großzügigem Wunsch, ihm zu helfen, kurz berührt hatten.
Ein paar Tage später rief Bono an und erzählte ihm, er wolle sein schriftstellerisches Können verbessern. In einer Rockgruppe war der Songwriter nur eine Art Stimmungssensor, nicht die Worte, sondern die Melodien trieben ihn voran, es sei denn, man entstammte einer Folktradition wie Dylan. Das wollte Bono ändern. Würdest du dich mit mir zusammensetzen und mir erzählen, wie du arbeitest? Er wollte andere, neue Leute kennenlernen. Er lechzte nach Hirnfutter und ein bisschen Rabatz , wie er sich ausdrückte. Er bot sein Haus in Südfrankreich an. Er bot ihm Freundschaft an.
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Er sei, so sagte er seinen Freunden, mit einem interessanten Leben geschlagen, das zuweilen selbst einem schlechten Roman glich. Eines der übelsten Schundroman-Merkmale war, dass Protagonisten, die nichts mit dem Rest der Geschichte zu tun hatten, jederzeit und völlig unvermittelt auftauchen, sich in die Geschichte drängeln und sie gewaltsam an sich reißen konnten. Der 27. Mai war der Tag, an dem vier Jahre
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