Joseph Anton
Reaktion auf diese ›Kontroverse‹ beschloss die indische Regierung, ihrem traditionellen Bekenntnis zur Meinungsfreiheit treu zu bleiben und das Buch aus fadenscheinigen Gründen nicht durch den Zoll zu lassen. Er rief seinen indischen Anwalt Vijay Shankardass an, einen bedachten, aufrechten Mann und einen der fähigsten Anwälte Indiens. Vijay meinte, wenn sie die indischen Buchhandelsorganisationen dazu bewegen könnten, sich mit dem indischen Verlag des Buches, Rupa, zusammenzutun, könnten sie die Regierung mit einer gerichtlichen ›Aufforderung zur Klagebegründung‹ rasch zum Handeln zwingen. Rupas Chef Rajan Mehra zögerte erst, weil er die leise Befürchtung hatte, eine Auseinandersetzung mit der Regierung könnte sich negativ auf sein Geschäft auswirken, doch Vijay stärkte ihm den Rücken, und Mehra ›tat, was nötig war‹. Als die Klage eingebracht wurde, gab die Regierung nach, die Blockade wurde aufgehoben, und Des Mauren letzter Seufzer erreichte Indien und konnte ohne jedwede Komplikationen verlegt werden. Auf der Buchmesse Delhi war die Zulassung des Buches ein Riesenereignis, ein ›großer Sieg‹, sagte er Vijay dankend. Doch Die satanischen Verse blieben in Indien verboten und dessen Autor ebenfalls.
Zu den Problemen in Indien gehörte auch sein kleines Haus in Solan. Sein Großvater väterlicherseits, Muhammad Din Khaliqi Dehlavi, den er nie kennengelernt hatte, hatte das Haus vor langer Zeit als Sommerfrische gekauft, um der Hitze in Delhi zu entkommen. Es war ein steinernes Landhaus mit sechs Zimmern, einem kleinen Grundstück drumherum und einem atemberaubenden Blick über die Berge. Er hatte es seinem einzigen Sohn Anis hinterlassen, und Anis Rushdie wiederum hatte es vor seinem Tod seinem einzigen Sohn vermacht. Die Regierung von Himachal Pradesh hatte es im Zuge des Evacuee Property Act , der es dem indischen Staat erlaubte, sämtliche Besitztümer nach Pakistan ausgewanderter Bürger zu konfiszieren, beschlagnahmt. Doch da das auf ihn nicht zutraf, war die Pfändung illegal. Vijay Shankardass vertrat ihn auch in diesem Fall, doch obwohl es ihm gelungen war, Anis’ Anspruch auf den Besitz geltend zu machen, war sein Erbe noch nicht bestätigt worden, und die Regierung von Himachal bemerkte knapp, sie »wolle nicht im Ruf stehen, Salman Rushdie einen Gefallen zu tun«.
Ein weiteres Jahr sollte vergehen, ehe die von Vijays Team durchgeführte akribische Recherche das Dokument zutage förderte, das den Fall entschied – das Schriftstück, in dem ein hoher Regierungsbeamter von Himachal in einer eidesstattlichen Erklärung den Meineid geleistet hatte, er wisse, dass Salman Rushdie die pakistanische Staatsbürgerschaft angenommen habe. Doch Salman Rushdie hatte nie eine andere Staatsbürgerschaft als die indische und die britische besessen. Meineid war ein schweres Vergehen, das mit Gefängnisstrafe geahndet wurde, und als die Regierungsbehörden erfuhren, dass Vijay Shankardass im Besitz der unwahren eidesstattlichen Erklärung war, zeigten sie sich plötzlich sehr kooperativ. Im April 1997 ging das Haus wieder an ihn über und wurde von dem Regierungsbeamten, der es sich darin bequem gemacht hatte, in annehmbarem Zustand übergeben, und Vijay holte sich die Schlüssel ab.
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Seine Lieblingskommentare zu Des Mauren letzter Seufzer stammten von seinen indischen Freunden, die sich nach der Lektüre des nun nicht mehr verbotenen Buches bei ihm meldeten und ihn fragten, wie es ihm gelungen sei, es zu schreiben, ohne in Indien gewesen zu sein. »Du hast dich reingeschmuggelt, stimmt’s?«, sagten sie. »Du hast dich leise reingschlichen und alles in dich aufgesaugt. Wie sonst konntest du das alles wissen?« Das zauberte ein breites Lächeln auf sein Gesicht. Seine größte Sorge war gewesen, sein ›Exilroman‹ könnte sich wie das Buch eines Unkundigen lesen und an der indischen Wirklichkeit vorbeigehen. Er dachte an Nuruddin Farah, der Somalia stets in seinem Herzen trug, und war stolz, dass er es geschafft hatte, ein Buch über sein inneres Indien zu schreiben, das ihn überallhin begleitete.
Der Roman erhielt einige der besten Kritiken, die er je bekommen hatte und die ihm bestätigten, dass der lange Abweg ihm nicht geschadet hatte. Es gab eine kleine, wiewohl kostspielige Lesetour durch die USA . Ein Privatflugzeug musste angemietet werden. Die Polizei bestand auf Personenschutz, und so wurde eine private Sicherheitsfirma unter der kundigen Führung eines gewissen Jerome H.
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