Joseph Anton
großartigen Job, hielt die Journalisten in Schach und verweigerte jegliche Auskunft, wer oder wer nicht bei ihnen in Behandlung sei. Doch die Medien hatten ihren Riecher und ließen sich nicht abwimmeln. »Wenn Sie wollen, können Sie hierbleiben und auf Ihren Freund warten«, sagten der Arzt und die Schwestern. Also blieben sie in der Notaufnahme sitzen und musterten einander zaghaft, als müssten sie sich versichern, dass die anderen wirklich noch da waren.
Hektisch und besorgt traf Rodney ein. Die Presse sei noch immer draußen, sagte er, wie sollen wir es also anstellen? An denen vorbeimarschieren und die ihre Fotos knipsen lassen? »Nein«, sagte er. »Erstens habe ich keine Lust, morgen ein Foto von mir mit blauen Flecken und dem Arm in der Schlinge in allen Zeitungen zu sehen. Und zweitens, wenn ich in deinem Auto losfahre, haben die sofort raus, wo ich bin, und das würde uns das Weihnachtsfest ruinieren.«
»Ich könnte Elizabeth und Zafar mitnehmen, und wir treffen uns ein paar Meilen weiter südlich wieder«, schlug Rodney vor. »Niemand weiß, wie Zafar und Elizabeth aussehen, also sollten wir hier ganz gemütlich rausspazieren können.«
Dr. Johnson, der freundliche junge Arzt, der sich um sie gekümmert hatte, hatte eine Idee. »Mein Auto steht auf dem Personalparkplatz. Da ist keine Presse. Ich könnte Sie zum Treffpunkt mit Ihren Freunden bringen.«
»Das ist wahnsinnig nett von Ihnen«, sagte er. »Sind Sie sicher?«
»Machen Sie Witze?«, sagte Dr. Johnson. »Das ist vielleicht das Aufregendste, was sich je in Milton abgespielt hat.«
*
Rodneys Haus stand, umgeben von Eukalyptuswald, auf einer kleinen Landzunge an einem fast vollkommen menschenleeren Strand und war genauso abgeschieden und idyllisch, wie er vorausgesagt hatte. Sie wurden willkommen geheißen, umsorgt, mit Wein und Essen beköstigt und verpflegt; sie lasen einander Bücher vor, gingen spazieren und schliefen, und ganz allmählich ließ der Schock des Unfalls nach. Am Weihnachtstag badeten sie morgens in der Tasmansee und aßen abends auf der Wiese unter freiem Himmel ein festliches Weihnachtsessen. Schweigend blickte er Elizabeth und Zafar an und dachte: Wir sind noch da. Sieh uns an. Wir sind noch am Leben.
VIII
Mr Morning und Mr Afternoon
D IE DINGE ÄNDERN SICH , hatte er sich immer wieder gesagt. Dies sind schnelllebige Zeiten, die Dinge ändern sich rascher denn je. Doch sieben Jahre seines Lebens waren dahin, sieben Jahre seiner Vierziger, die beste Zeit eines Mannes, sieben Jahre der Kindheit seines Sohnes, die er niemals nachholen würde können, und die Dinge hatten sich nicht geändert. Er musste sich dem Gedanken stellen, dass dies womöglich nicht nur eine Phase seines Lebens war, sondern es für den Rest seines Lebens so bleiben würde. Das war ein harter Brocken.
Es zehrte an ihnen allen. Zafar hatte die Heimlichtuerei satt – Kann ich ein paar Freunde mitbringen? – und war schlecht in der Schule. Clarissa machte sich beim Arts Council einen Namen und war zu einer ihrer beliebtesten Akteure und einer Art Schutzheiligen kleiner Zeitschriften geworden, und er freute sich, dass sie ihren Platz in der Welt gefunden hatte. Doch nach dem Geld-Hickhack war ihr Verhältnis getrübt. Es war nicht feindselig, aber auch nicht mehr warmherzig, und das war bedauerlich und traurig. Elizabeth war nicht schwanger, was ihr häufig aufs Gemüt schlug. Sie ging zu einem Gynäkologen und erfuhr, dass sie aus verschiedenen Gründen Schwierigkeiten haben könnte, schwanger zu werden. Neben der chromosomalen Translokation musste man auch damit fertig werden, und sollte sie doch ein Baby bekommen, wären da noch die Sicherheitsprobleme, vor denen sie die Augen verschloss.
Ein neues Jahr begann. Caroline Michel rief an, um zu berichten, das Hardcover von Des Mauren letzter Seufzer habe sich in Großbritannien bereits fast zweihunderttausendmal verkauft. Doch in Indien gab es Probleme. Die Shiv Sena in Bombay hatte sich an ihrer Darstellung als ›Mumbai’s Axis‹ gestoßen. Andere hatten es nicht lustig gefunden, dass eine der Romanfiguren einen ausgestopften Hund auf Rädern besaß, der nach dem ersten Premierminister des Landes Jawaharlal benannt war. Die sechsundachtzigjährige Urdu-Schriftstellerin Qurratulain Hyder, Autorin des berühmten Romans über die Teilung Indiens, Aag ka Darya (Fluss des Feuers) , verkündete, ebendiese fiktionale Taxidermie beweise, dass dem Autor ›niemals vergeben‹ werden sollte. Als
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