Joseph Anton
Benedettis CIR und die Erben von Arnoldo Mondadori – zögerten anfangs stärker als Viking, und es wurden Zweifel laut, ob es wirklich klug sei, das Buch zu veröffentlichen, doch die Entschlossenheit des Verlagsdirektors Giancarlo Bonacina und seiner Mitarbeiter gab den Ausschlag. Das Buch erschien wie geplant.
Und während all dies und mehr passierte, verkroch sich der Autor von Die satanischen Verse verschämt hinter einem Küchentresen, um nicht von einem Schafsbauern gesehen zu werden.
Außer dem Gezeter der Titelseiten gab es da noch die privaten Krisen, den Knoten im Bauch, den die ewige Sorge um die nächste Wohn möglichkeit schnürte, die Angst um die Familie (seine Mutter war nach London gekommen, um bei Sameen zu wohnen und ihm etwas näher zu sein, auch wenn es noch einige Zeit dauern würde, bis er sie sehen konnte), und dann war da natürlich noch Marianne, deren Tochter Lara ihr in mehreren hitzigen Telefongesprächen mitteilte, dass ›keine ihrer Freundinnen‹ verstehen könne, weshalb ihre Mutter sich solcher Gefahr aussetze. Der Vorwurf war berechtigt, vermutlich hätte ihn jedes Kind erhoben. Marianne fand ein Mietshaus, in das sie einziehen konnten. Das war hilfreich, trotzdem wusste er, wenn die Krise noch lange anhielt, würde sie ihn verlassen. Das neue Leben fiel ihr schwer. Ihre Lesereise wurde abgesagt, und wäre er an ihrer Stelle gewesen, hätte er sie vielleicht auch verlassen. Unterdessen aber stürzte sie sich in so etwas wie einen normalen Arbeitsalltag, machte sich reichlich Vermerke über ihre Aufenthaltsorte, schrieb sich walisische Ausdrücke ins Notizbuch und begann beinahe umstandslos, Geschichten zu schreiben, die weniger fiktiv als Dramatisierungen dessen waren, was sie durchlebten. Eine ihrer Geschichten hieß ›Croeso i Gymru‹, wali sisch für ›Willkommen in Wales‹, und begann mit den Worten Wir waren in Wales auf der Flucht , ein Satz, der ihn ärgerte, da man ihn leicht so verstehen konnte, als seien sie auf der Flucht vor dem Gesetz. Wir sind keine Kriminellen, hätte er ihr am liebsten gesagt, tat es aber nicht. Sie war nicht in Stimmung für Kritik. Sie schrieb eine Story mit dem Titel ›Urdu lernen‹.
Der Außenminister trat im Fernsehen auf und verbreitete Lügen über ihn. Das britische Volk, so Sir Geoffrey Howe, möge dieses Buch nicht. Es urteile extrem unverschämt über Großbritannien und stelle, sagte er, England mit Hitlers Deutschland auf eine Stufe. Der Autor des ungemochten Buches schrie den Bildschirm an: »Wo denn? Auf welcher Seite? Beweis mir, dass ich das getan habe!« Der Fernseher gab keine Antwort. Sir Geoffreys blasierte, seltsam unterwürfige Gesichtszüge blickten ausdruckslos zu ihm zurück. Er erinnerte sich an den früheren Labour-Minister Dennis Healey, der einmal gesagt hatte, von Howe angegriffen zu werden, das sei, als fiele ›ein totes Schaf‹ über einen her, und eine Viertelminute lang überlegte er, ob er das tote Schaf wegen Verleumdung verklagen solle. Aber das wäre dumm. In den Augen der Welt war er selbst der große Verleumder, also war es erlaubt, ihn zu verleumden.
Das tote Schaf bekam Gesellschaft. Die Zeitungen zitierten den großen unfreundlichen Riesen Roald Dahl mit den Worten: »Rushdie ist ein gefährlicher Opportunist.« Ein paar Tage zuvor hatte Robert Runcie, der Erzbischof von Canterbury, gesagt, er könne ›die Gefühle der Muslime‹ verstehen. Bald würde auch der Papst diese Gefühle verstehen und der britische Oberrabbi und der Kardinal von New York. Die Gottestruppen bezogen Position. Dafür setzte sich Nadine Gordimer in einem Artikel für ihn ein, und an dem Tag, an dem er mit Marianne Debs und Michaels Farm verließ und ins Mietshaus einzog, erschien zu seiner Unterstützung das von mehreren tausend Schriftstellern signierte World Writers’ Statement. Großbritannien und der Iran hatten ihre diplomatischen Beziehungen eingestellt. Bizarrerweise waren sie von Seiten des Iran und nicht von der Thatcher-Regierung aufgekündigt worden. Offenbar fanden die Ayatollahs den britischen Schutz für einen abtrünnigen Renegaten ärgerlicher als Großbritannien den extraterritorialen Angriff auf einen britischen Bürger. Vielleicht aber waren die Iraner auch einfach nur schneller.
Das bescheidene weiße Cottage mit schrägem Schieferdach hieß Tyn-y-Coed, das Haus im Wald, kein seltener Name für ein Haus in dieser Gegend. Es lag in der Nähe vom Dorf Pentrefelin in Brecon, unweit der Black
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