Joseph Anton
verkauft. Als es auf Platz eins der Bestsellerliste der New York Times landete, witzelte John Irving, der bislang diesen Platz eingenommen hatte und nun an zweiter Stelle festsaß, wenn das nötig sei, um es an die Spitze zu schaffen, gebe er sich damit zufrieden, Zweitplatzierter zu sein. Wie Irving wusste er selbst natürlich auch, dass sein Buch kein ›echter‹ Bestseller war, dass nicht literarische Meriten oder Popularität, sondern der Skandal den Verkauf schürte. Außerdem wusste er – und wusste es auch zu schätzen –, dass viele Leute ein Exemplar von Die satanischen Verse kauften, um ihre Solidarität mit ihm zu bekunden. Seit Liz Calder sie in den achtziger Jahren miteinander bekannt gemacht hatte, war er mit John Irving befreundet. Johns Scherz war seine Art, ihm einen freundlichen Gruß zu schicken.
An dem Tag, an dem sein Roman in Amerika veröffentlicht wurde, am 22. Februar 1989, erschien in The New York Times eine ganzseitige, von der Vereinigung amerikanischer Verleger, der Vereinigung amerikanischer Buchhändler und der amerikanischen Bibliotheksvereinigung finanzierte Anzeige. »Freie Menschen schreiben Bücher«, hieß es darin. »Freie Menschen veröffentlichen Bücher. Freie Men schen verkaufen Bücher. Freie Menschen kaufen Bücher. Freie Menschen lesen Bücher. Im Geiste von Amerikas Verpflichtung für die freie Meinungsäußerung informieren wir die Öffentlichkeit, dass Leser dieses Buch überall im ganzen Land über Buchläden und Bibliotheken beziehen können.« Das amerikanische PEN -Zentrum, geführt von seiner geschätzten Freundin Susan Sontag, veranstaltete Lesungen aus Die satanischen Verse . Sontag, Don DeLillo, Norman Mailer, Claire Bloom und Larry McMurtry gehörten zu den Vorlesern. Ihm wurde eine Tonbandaufnahme geschickt; er hörte sie mit einem Kloß im Hals. Erst viel später erfuhr er, dass einige der bedeutenderen Autoren anfangs Ausflüchte vorgebracht hatten. Selbst Arthur Miller entschuldigte sich mit seinem Judentum, da er fürchtete, dies könne kontraproduktiv sein. Aber innerhalb weniger Tage wurden sie von Susan zur Ordnung gepfiffen; fast alle kehrten ihre bessere Seite heraus und bekannten Farbe.
Die Furcht, die in der Verlagsindustrie umging, war real, da die Gefahr real war. Auch Verleger und Übersetzer wurden von der Fatwa bedroht. Dennoch musste die Welt des Buches, in der freie Menschen freie Entscheidungen treffen, verteidigt werden. Oft kam ihm der Gedanke, dass die Krise einem starken Lichtstrahl glich, der jedermanns Entscheidungen und Taten scharf hervorhob und so eine Welt ohne Schatten schuf, einen absolut unzweideutigen Ort richtigen und falschen Verhaltens, guter und schlechter Entscheidungen, ja und nein, Stärke und Schwäche. In diesem grellen Licht wirkten manche Verleger heldenhaft, andere rückgratlos. Der Verleger mit dem wenigsten Rückgrat war vermutlich der Leiter eines europäischen Verlagshauses, dessen Name hier nicht genannt werden soll, ein Verleger, der kugelsichere Scheiben in die Fenster seines Büros im ersten Stockwerk einsetzen ließ, nicht aber in den ebenerdigen Fenstern, hinter denen man seine Angestellten sehen konnte. Dann brachte er einen Schraubenzieher mit zur Arbeit und schraubte das Verlagsschild am Eingang zum Bürogebäude ab. Sein deutscher Herausgeber, das renommierte Verlagshaus Kiepenheuer & Witsch, kündigte ohne viel Federlesens seinen Vertrag und versuchte, ihm die für Sicherheitsmaßnahmen entstandenen Kosten in Rechnung zu stellen. (Letztlich erschien die deutsche Ausgabe in einem großen, eigens für dieses Buch gegründeten Konsortium von Verlagen und namhaften Persönlichkeiten, eine Methode, die auch in Spanien angewandt wurde.) Christian Bour geois, sein französischer Verlag, zögerte anfangs, das Buch herauszugeben, und verschob die Publikation mehrere Male, wurde schließlich aber durch die immer schärfer werdende Kritik in den französischen Medien zur Veröffentlichung gezwungen. Andrew Wylie und Gillon Aitken waren schlicht unglaublich. Sie reisten von Land zu Land und redeten gut zu, lockten, drohten und schmeichelten, bis die Verleger ihre Arbeit machten. In vielen Ländern wurde sein Buch nur dank ihres entschiedenen Drucks auf nervöse Herausgeber veröffentlicht.
In Italien waren sie Helden. Sein Verlag Mondadori brachte die italienische Ausgabe nur wenige Tage nach Verkündigung der Fatwa heraus. Die Verlagsinhaber – Silvio Berlusconis Holdinggesellschaft Fininvest, Carlo De
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