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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Branch überlege, seinen Schutz der regulären Polizei zu übertragen; dann könne er ja sehen, wie er zurechtkomme. Allem Anschein nach würde er deutlich länger in Gefahr sein als anfänglich vermutet; das hatte der Special Branch nicht vorhergesehen und auch nicht gewollt. So lauteten die schlechten Nachrichten, derentwegen Commander Howley, kein Mann vieler Worte, eigens nach Wales gefahren war. Es ging jetzt nicht mehr darum, dass er einige Tage unsichtbar blieb, bis die Politiker das Problem gelöst hatten. Und es stand nicht zu erwarten, dass man ihm in absehbarer Zukunft erlauben könne ( erlauben ?), sein normales Leben wiederaufzunehmen. Er dürfe auch nicht einfach beschließen, das Risiko auf sich zu nehmen und wieder nach Hause zu gehen. Täte er das, brächte er seine Nachbarn in Gefahr, und er würde die Polizeiressourcen in ungebührlicher Weise belasten, da man sich dann genötigt sähe, eine ganze Straße, vielleicht sogar noch mehr, abzuriegeln und zu schützen. Folglich müsste er warten, bis es zu einer ›größeren politischen Veränderung‹ käme. Was er damit meine, fragte er: Bis Khomeini sterbe? Oder bis in alle Ewigkeit? Howley hatte dazu keine Meinung. Er könne nicht einschätzen, wie lange es noch dauern mochte.
    Seit einem Monat lebte er nun mit der Drohung. In Paris, New York, Oslo, Kaschmir, Bangladesch, der Türkei, Deutschland, Thailand, den Niederlanden, in Schweden, Australien und West Yorkshire hatte es weitere Demonstrationen gegen Die satanischen Verse gege ben. Der Blutzoll an Verletzten und Toten stieg an. Mittler weile war der Roman auch in Syrien verboten, im Libanon, in Kenia, Brunei, Thailand, Tansania, Indonesien und überall in der arabischen Welt. Ein Muslim-›Führer‹ namens Abdul Hussain Chowdhury bat das oberste Gericht in London, gegen Salman Rushdie und dessen Verleger »wegen aufwieglerischer und hetzerischer Verleumdung« eine Vorladung auszusprechen, doch wurde dem Ersuchen nicht stattgegeben. Die Fifth Avenue in New York musste gesperrt werden, nachdem ein Buchladen eine Bombendrohung erhalten hatte. Damals gab es noch mehrere Buchläden entlang der Fifth Avenue.
    Die vereinigte Front der literarischen Welt begann zu bröckeln, und es tat ihm weh, mitanzusehen, wie seine eigene Welt unter dem Druck der Ereignisse zerbrach. Erst weigerte sich die Westberliner Akademie der Künste aus Sicherheitsgründen, eine ›Pro-Rushdie‹-Demo auf ihrem Gelände zuzulassen, was dazu führte, dass Deutschlands bekanntester Schriftsteller Günter Grass und der Philosoph Günther Anders unter Protest die Akademie verließen. Dann beschloss die Schwedische Akademie in Stockholm, die alljährlich den Nobelpreis vergab, keine formelle Erklärung gegen die Fatwa zu verfassen, woraufhin die bedeutende Autorin Kerstin Ekman ihren Platz in der Runde der achtzehn Akademiemitglieder aufgab. Lars Gyllensten zog sich ebenfalls aus den Beratungen der Akademie zurück.
    Er fühlte sich entsetzlich. »Tu’s nicht, Günter! Günther! Kerstin! Lars!«, hätte er am liebsten gerufen, »Tut’s nicht meinetwegen.« Er wollte nicht für Gräben in Akademien verantwortlich sein, wollte der Welt der Bücher nicht schaden. Das war das Gegenteil dessen, was er wollte. Er wollte das Buch gegen die Bücherverbrenner in Schutz nehmen. In einer Zeit, in der die literarische Freiheit selbst derart unter Beschuss geriet, glichen diese kleinen Gefechte der Bücherwürmer wahren Tragödien.
    *
    An den Iden des März wurde er ohne Vorwarnung in die tiefsten Abgründe der Orwell’schen Hölle geworfen. »Sie haben mich einmal gefragt«, sagte O’Brien, »was in Zimmer 101 wäre. Ich sagte Ihnen, Sie würden die Antwort bereits kennen. Jeder kennt sie. In Zimmer 101 erwartet einen das Schrecklichste auf der Welt.« Das Schrecklichste auf der Welt ist für jeden etwas anderes. Für Winston Smith in Orwells 1984 sind es Ratten. Für ihn in diesem kalten Cottage in Wales war es ein unbeantworteter Telefonanruf.
    Er hatte sich mit Clarissa auf eine tägliche Routine geeinigt. Ausnahmslos jeden Abend telefonierte er mit Zafar, um Hallo zu sagen. Er redete mit seinem Sohn so offen wie nur möglich über alles, was vor sich ging, bemühte sich, es optimistisch zu wenden und die Ungeheuer in der Fantasie seines Sohnes zu bändigen, ihn aber auf dem Laufenden zu halten. Er hatte rasch gelernt, dass Zafar mit den Geschehnissen umgehen konnte, sofern er das Neuste zuerst von ihm selbst hörte. Kamen sie durch

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