Joseph Anton
hatte. Der entsprechend angelegte und gepflegte Garten gedieh prächtig.) Harold Pinter und Antonia Fraser öffneten ihm ihre Türen, ebenso wie viele andere Freunde. Bill Buford sagte: »Deine Freunde werden sich zu einem eisernen Ring um dich zusammenschließen, und in diesem Ring wirst du dein Leben führen können.« Genau das sollte geschehen. Nie brachen sie ihr Schweigen. Ohne Ausnahme verriet nicht einer, auch nicht unabsichtlich, je etwas über seinen Aufenthaltsort. Ohne sie hätte er keine sechs Monate überlebt. Nach anfänglich großem Misstrauen begann auch der Special Branch, sich auf seine Freunde zu verlassen, und lernte zu schätzen, dass es sich um ernsthafte Leute handelte, die wussten, was zu tun war.
Folgendes musste geschehen, damit er seinen Jungen sehen konnte: Zuallererst begutachtete der ›fünfte Mann‹ im Team, der sich bei Scotland Yard aufhielt, den ›Treffpunkt‹, beurteilte die Sicherheitslage, sagte den Hausbewohnern, was sie zu tun hatten, diese Tür schließen, jene Vorhänge zuziehen. Dann fuhr man ihn zum Treffpunkt, immer auf möglichst umständlicher Route, wobei viele Tricks der Gegenüberwachung angewandt wurden, ein Vorgang, der sich ›Abschütteln‹ nannte und der dazu diente, sich davon zu überzeugen, dass man nicht verfolgt wurde. (Um potentielle Verfolger loszuwerden, fuhr man nicht zuletzt so verrückt wie nur möglich. Auf der Autobahn wechselten sie möglichst oft das Tempo, denn wenn es ihnen jemand gleichtat, wussten sie, dass sie einen Verfolger hatten. Manchmal fuhr Alex mit extrem hohem Tempo auf der Abfahrtspur. Sollten sie einen Verfolger haben, konnte der nicht wissen, ob sie wirklich von der Autobahn abfahren wollten oder nicht, weshalb er ihnen im gleichen Tempo folgen und so seine Anwesenheit verraten musste.) Ein anderer Wagen holte unterdessen Zafar ab und brachte ihn, gleichfalls nach allerhand ›Abschüttelmanövern‹, zum gemeinsamen Treffpunkt. Das Ganze war ziemlich umständlich, aber die Freude im Gesicht seines Kindes sagt ihm alles, was er wissen musste.
Er sah Zafar für eine Stunde bei den Stokes. Er verbrachte eine weitere Stunde mit seiner Mutter und Sameen im Haus der Pinters am Campden Hill Square, und die eiserne Selbstbeherrschung seiner Mutter ließ für ihn jene Frau wieder zum Vorschein kommen, die sie in den Tagen vor und nach dem Tod seines Vaters gewesen war. Sie verbarg Angst und Sorge hinter einem angespannten, doch liebevollen Lächeln, ballte aber oft ihre Hände zu Fäusten. Und weil es zu spät war, noch bis nach Wales zurückzufahren, brachte man ihn zu Ian McEwans Cottage ins Dorf Chedworth in Gloucestershire, wo er den Abend in Gesellschaft guter, liebenswerter Freunde verbringen konnte, mit Alan Yentob und dessen Lebensgefährtin Philippa Walker sowie mit Ian selbst. In einem Interview mit The New Yorker erzählte Ian später: »Ich werde es nie vergessen – am nächsten Morgen standen wir früh auf. Er musste weiter. Eine schreckliche Zeit für ihn. Wir standen am Küchentresen, machten Toast und Kaffee und hörten die Acht-Uhr-Nachrichten der BBC . Er stand direkt neben mir, und er war die Topmeldung. Hisbollah versprach, jeden Versuch, ihn zu töten, mit ihrem ganzen Know-how und Gewicht zu unterstützen.« Ians Gedächtnis hat ihn ein wenig getrogen. Die an jenem Tag in den Nachrichten erwähnte Drohung stammte nicht von der Iran-finanzierten Hisbollah-Gruppe im Libanon, sondern von Ahmad Dschibril, dem Anführer der Volksfront zur Befreiung Palästinas – Generalkommando.
Commander John Howley vom Special Branch – jener ehrgeizige Polizeibeamte, dem das ›A‹-Kommando unterstand und der später in den Rang des stellvertretenden Polizeipräsidenten aufsteigen und Leiter sowohl des Special Branch wie der Antiterroreinheiten des Scotland Yard werden sollte – fuhr eigens nach Wales in Begleitung von Bill Greenup, dem Beamten, den Marianne in ihrer walisischen Erzählung ›Mr Browndown‹ nennen sollte. Mr Greenup benahm sich nicht besonders freundlich. Er war offenkundig der Ansicht, es mit einem Querulanten zu tun zu haben, der selbst schuld daran war, sich solchen Ärger eingehandelt zu haben, weshalb jetzt fähige Polizeibeamte den Hals riskieren mussten, um ihn vor den Folgen seines Tuns zu retten. Außerdem war der Querulant Labour-Wähler und hatte ebenjene Thatcher-Regierung kritisiert, die sich nun verpflichtet sah, für seinen Schutz aufzukommen. Mr Greenup machte Andeutungen, dass der Special
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