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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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wenn sie spazieren gingen, joggten, sich im Fitnessclub aufhielten oder im nahen Supermarkt einkauften, aus Versehen seinen wahren Namen nannten und so seine Tarnung auffliegen ließen.
    Die Beschützeraktion hatte einen Namen: Operation Malachit. Er hatte keine Ahnung, warum man diesem Auftrag den Namen eines grünen Steins gab, und seine Beschützer wussten es ebenso wenig. Sie waren keine Schriftsteller und fanden es unwichtig, warum man welchen Namen auswählte. Ein Name war nur ein Name. Jetzt aber lag es an ihm, sich umzubenennen. Sein eigener Name war völlig nutzlos; es war ein Name, der nicht mehr in den Mund genommen werden durfte, so wie der Name Voldemort in den damals noch ungeschriebenen Harry-Potter-Büchern. Er konnte in seinem Namen kein Haus mieten oder sich ins Wählerverzeichnis eintragen, denn wählen durfte nur, wer eine Adresse angab, und das war natürlich unmöglich. Um sein demokratisches Recht auf freie Meinungsäußerung zu schützen, musste er sein demokratisches Recht auf die Wahl seiner Regierung aufgeben. »Völlig egal, was Sie sich für einen Namen aussuchen«, sagte Stan, »aber es wäre nützlich, einen parat zu haben, und zwar bald.«
    Den eigenen Namen aufzugeben war keine Kleinigkeit. »Sicher besser, keinen asiatischen Namen auszusuchen«, sagte Stan. »Manchmal können die Leute nämlich eins und eins zusammenzählen.« Also sollte er auch noch seine Rasse aufgeben. Er würde ein unsichtbarer Mann mit einer gesichtslosen Maske sein.
    In einem seiner Notizbücher hatte er die Figur eines gewissen Mr Mamouli skizziert. Mr Mamouli war geistig umnachtet, gar ver flucht, ein Otto-Normalverbraucher, zu dessen literarischen Verwandten Zbigniew Herberts Herr Cogito oder Italo Calvinos Herr Palomar gehörten. Mit vollem Namen hieß er Ajeeb Mamouli, Ajeeb nach einem Ratsherrn aus Bradford, dessen Name ›sonderbar‹ bedeutete. Und Mamouli bedeutete ›normal‹. Er war also Herr Sonderbar Normal, Herr Eigenartig Gewöhnlich, Herr Merkwürdig Alltäglich, ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich. Rushdie hatte ein Textfragment geschrieben, in dem Mr Mamouli sich genötigt sah, eine umgekehrte, riesige Pyramide zu tragen, deren Spitze auf seinem kahlen Kopf ruhte, weshab sein Schädel gewaltig juckte.
    Zum ersten Mal erblickte Mr Mamouli das Licht der Welt, als ihm auffiel, dass ihm sein Name gestohlen wurde, zumindest der halbe Name, als nämlich Rushdie sich von Salman löste und in die Schlagzeilen trudelte, in die Druckerschwärze, den Bildschirm-Äther, als er zum Slogan wurde, zum Schlachtruf, zum Fluch oder zu dem, was er nach Meinung der Leute bedeuten sollte. Er hatte die Kontrolle über seinen Namen verloren, weshalb es sich besser anfühlte, in die Schuhe von Mr Mamouli zu schlüpfen. Ajeeb Mamouli war ebenfalls Romancier, sein Name ein Widerspruch in sich, wie es sich für den Namen eines Schriftstellers gehört. Mr Mamouli hielt sich für einen gewöhnlichen Menschen, doch war sein Leben zweifellos ziemlich ungewöhnlich. Wenn er Mamoulis Gesicht hinkritzelte, glich es meist dem Gesicht des berühmten Jedermann des Cartoonisten R. K. Laxman in The Times of India : naiv, belustigt, kahl, mit grauen Haarbüscheln über den Ohren.
    In Die satanischen Verse kommt eine mollige Schauspielerin mit Namen Mimi Mamoulian vor, die von dem Gedanken besessen ist, möglichst viele Häuser zu kaufen. Mr Mamouli ist ihr Verwandter, vielmehr ihr Gegenpart, ein Anti-Mimi, mit einem Problem gegensätzlicher Natur: Er besitzt kein Haus, das er sein Eigen nennen könnte. Ihm war nur allzu bewusst, dass dies auch das Los des gefallenen Luzifers war. Folglich war Mr Ajeeb Mamouli der Name des Teufels, zu dem ihn andere gemacht hatten, ein gehörntes, fabelhaftes Wesen wie sein Saladin Chamcha, dessen dämonische Transformation wie folgt erklärt wurde: »Sie besitzen die Macht der Beschreibung, und wir sind den Bildern unterworfen, die sie sich von uns machen.«
    Der Name gefiel ihnen nicht. Mamouli, Ajeeb: Der reinste Zungenbrecher und schwer zu merken, außerdem viel zu ›asiatisch‹. Er wurde gebeten, sich einen anderen Namen auszudenken, und Mr Mamouli zog sich zurück, verblasste und fand schließlich Zuflucht in einer verwahrlosten Pension für ungenutzte Ideen, dem Hotel California der Fantasie, und ging verloren.
    Er dachte an Schriftsteller, die er mochte, und probierte es mit Kombinationen ihrer Namen. Vladimir Joyce, Marcel Beckett, Franz Sterne. Er schrieb eine Liste solcher

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