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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Haus war auch Platz genug für die beiden Bodyguards; die Fahrer nahmen sich Zimmer in einem Bed and Breakfast im Dorf und gaben vor, Freunde auf einer Wandertour zu sein. Zum Haus gehörte ein schöner Garten, der so abgeschieden lag, wie es sich ein unsichtbarer Mensch nur wünschen konnte. Er kam in den letzten Märztagen an und zog beinahe glücklich ein.
    » Die Flamme der Aufklärung versiegt«, sagte ein Journalist zu Günter Grass. »Und doch«, erwiderte er, »gibt es keine andere Lichtquelle. « Die öffentliche Debatte tobte mit unveränderter Wucht, aber nur Tage nach der Ankunft in Porlock Weir bekam er es mit einer ganz anderen Krise zu tun, bei der es gewissermaßen auch um ein Feuer ging.
    Marianne fuhr für einige Tage nach London (sie war in ihrer Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt), um gemeinsame Freunde zu treffen – Dale, eine Amerikanerin, die bei Wylie, Aitken & Stone arbeitete, sowie seine langjährige Freundin Pauline Melville. Als er Pauline anrief, um zu fragen, wie es ihr gehe, sagte sie, sie sei schockiert. »Okay«, fuhr sie fort, »das hier ist so ernst, dass ich dir jetzt erzähle, was Marianne gesagt hat. Dale und ich, wir haben es beide gehört und sind so verblüfft, dass wir bereit sind, ihr das Gesagte ins Gesicht zu wiederholen.« Marianne hatte ihnen erzählt, dass er und sie sich ständig stritten und dass sie, Marianne, laut Pauline ›ihn zu sammengeschlagen‹ habe. Dann habe sie behauptet, erstaunlicherweise, er hätte den Special Branch gebeten, ›Isabelle Adjani einzufliegen‹. Mit der französischen Schauspielerin hatte er nie geredet, noch hatte er sie je kennengelernt, doch war er kürzlich auf eine Weise von ihr unterstützt worden, die er sehr zu schätzen wusste. Bei der Verleihung des César – des französischen Oscar – in Paris hatte sie den César als beste Schauspielerin für ihre Titelrolle im Film Camille Claudel erhalten und nach ihrer Dankrede einen kurzen Text verlesen, der, wie sie anschließend verriet, ein Zitat aus Les versets sataniques de Salman Rushdie sei. Ihr Vater war Algerier muslimischer Abstammung, dies war für sie also keine Kleinigkeit. Er hatte ihr geschrieben und sich bedankt. Der Rest – Mariannes Beschuldigungen – waren reine Erfindung, aber es sollte noch schlimmer kommen. »Er foltert mich«, hatte sie Pauline anvertraut, »er drückt Zigaretten auf mir aus.« Als Pauline das sagte, musste er vor Entsetzen unwillkürlich lachen. »Aber«, rief er, »ich habe keine Zigaretten – ich rauche doch gar nicht!«
    Als Marianne aus London nach Porlock zurückkehrte, stellte er sie zur Rede im schönen Wohnzimmer mit rosenfarbener Tapete und großen Fenstern, die den Blick auf das schimmernde Wasser des Bristol Channel lenkten. Anfangs leugnete sie rundheraus, Derartiges gesagt zu haben. Er nahm sie beim Wort. »Lass uns Pauline und Dale an rufen und hören, was sie dazu sagen.« Da brach sie zusammen und gestand, ja, sie habe es gesagt. Er fragte sie insbesondere nach der schlimmsten Anschuldigung, der Folter mit brennenden Zigaretten. »Warum behauptest du so etwas«, wollte er wissen, »wenn du doch weißt, dass es nicht stimmt?« Sie sah ihm mutig ins Gesicht. »Es war eine Metapher«, erklärte sie, »dafür, wie unglücklich ich mich fühle.« In gewisser Weise war das eine brillante Antwort. Irre, aber brillant. Sie hatte Applaus verdient. Er sagte: »Das ist keine Metapher, Marianne, das ist eine Lüge. Wenn du den Unterschied zwischen Lüge und Metapher nicht mehr erkennst, steckst du in argen Schwierigkeiten.« Darauf hatte sie nichts mehr zu ihm zu sagen. Sie ging in das Zimmer, in dem sie arbeitete, und schloss die Tür hinter sich.
    Das war die Wahl, die sich stellte: bei ihr zu bleiben, obwohl sie zu solchen Unwahrheiten fähig war, oder sich von ihr zu trennen und sich dem, was ihm bevorstand, allein zu stellen.
    Er brauche einen Namen, sagte die Polizei. Er müsse sich einen aussuchen, und zwar ›pronto‹, müsse mit dem Filialleiter seiner Bank reden, damit Scheckhefte auf dieses Pseudonym oder ganz ohne Namen ausgestellt würden und die Bank sich bereit erklärte, die mit falschem Namen unterschriebenen Schecks anzuerkennen, denn nur so könne er bezahlen, ohne seinen wahren Namen preiszugeben. Der neue Name sollte aber auch seinen Beschützern den Alltag erleichtern. Sie hatten sich daran zu gewöhnen, mussten ihn ständig beim neuen Namen nennen, ob sie nun mit ihm zusammen waren oder nicht, damit sie nicht,

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