Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
dann schlafen zu legen; Jaakob, um am Stabe einen Rundgang durch das Lager zu machen und nach den Weibern zu sehen und dem Vieh in den Ställen. Was seine Söhne betraf, so hatte Joseph sich vor dem Zelt von den andern fünfen getrennt, obgleich er ursprünglich Miene gemacht hatte, sich zu ihnen zu halten. Aber der gerade Gad hatte unvermittelt zu ihm gesagt:
»Scher dich, Laffe und Hürchen, wir brauchen dich nicht!«
Worauf Joseph schon nach kurzem Besinnen seine Worte geordnet und geantwortet hatte:
»Du bist wie ein Balken Holzes, Gad, über welchen der Hobel noch nicht gegangen, und wie ein stößiger Ziegenbock in der Herde. Bringe ich deine Rede vor den Vater, so wird er dich strafen. Bringe ich sie aber vor Ruben, unseren Bruder, so wird er dich maßregeln in seiner Gerechtigkeit. Sei es jedoch, wie du sagst: Geht ihr zur Rechten, so will ich zur Linken gehen, oder umgekehrt. Denn ich liebe euch zwar, aber meinesteils bin ich leider ein Greuel vor euch und heute besonders, weil der Vater mir vorgelegt hat vom Zicklein und mir freundliche Blicke gegeben. Darum heiße ich deinen Vorschlag gut, damit Ärgernis vermieden werde und ihr nicht unversehens in Sünde fallt. Lebt wohl!«
Dies hatte Gad mit verächtlichem Ausdruck über die Schultern hin angehört, neugierig immerhin, was der Bursche bei dieser Gelegenheit wieder werde zu reden und reimen wissen. Dann hatte er eine derbe Gebärde gemacht und war mit den anderen gegangen, Joseph aber für sich allein.
Er hatte einen kleinen abendlichen Lustwandel unternommen – sofern die Niedergeschlagenheit, in die Gads Grobheit ihn zur Stunde versetzt hatte und die durch die Genugtuung, seine Antwort wohl geformt zu haben, nur teilweise aufgehoben wurde, seinem Wandel Lustigkeit gönnte. Hügelauf war er geschlendert, dort, wo die Anhöhe sich verminderte, gegen Osten, und bald der Kamm und Überblick nach Süden gewonnen war, so daß Joseph die mondweiße Stadt zur Linken im Tal hatte liegen sehen mit ihrer dicken Ummauerung, die vierkantige Ecktürme und Torbauten hatte, mit dem Säulenhof ihres Palastes und dem von einer weiten Terrasse umgebenen Massiv ihres Tempels. Er blickte gern auf die Stadt, in der so viele Menschen wohnten. Auch die Begräbnisstätte der Seinen, die voreinst von Abraham dem chetitischen Manne umständlich abgekaufte zwiefache Höhle, wo die Gebeine der Ahnen, der babylonischen Ur-Mutter und späterer Häupter, ruhten, hatte er andeutungsweise sehen können von hier aus: die Gesimse der steinernen Portalbauten des doppelten Felsengrabes zeichneten sich ganz zur Linken an der Ringmauer ab; und Gefühle der Frömmigkeit, deren Quelle der Tod ist, hatten sich in seiner Brust vermischt mit der Sympathie, die der Anblick der bevölkerten Stadt ihm einflößte. Dann war er zurückgekehrt, hatte den Brunnen gesucht, sich erfrischt, gereinigt und gesalbt und danach mit dem Monde jene etwas ausgeartete Hofmacherei getrieben, bei der der ewig besorgt sich nach ihm umtuende Vater ihn betroffen.
Der Angeber
Nun stand er bei ihm, der Alte, legte ihm die Rechte aufs Haupt, nachdem er den Stab in die Linke hinübergegeben, und blickte mit seinen greisen, aber eindringlichen Augen in die schönen, schwarzen des Jünglings, die dieser anfangs, unter erneutem Vorweisen einer Menge getrennt schimmernden Zahnschmelzes, zu ihm aufschlug, dann aber senkte: aus einfacher Ehrfurcht zum Teil, aber teilweise auch aus schwankendem Schuldgefühl, das mit der Aufforderung des Vaters zusammenhing, er möge sich bekleiden. Tatsächlich hatte er es nicht oder nicht nur der angenehmen Lüftung wegen verschoben, seine Kleider wieder anzulegen, und vermutete, daß sein Vater die Triebe und Auffassungen durchschaute, die ihn bestimmt hatten, seine Begrüßungen halb entblößt nach oben zu richten. Es war so, daß er es süß und hoffnungsvoll gefunden hatte, dem Monde, dem er sich horoskopisch und durch allerlei Ahnung und Spekulation verbunden fühlte, seine junge Nacktheit darzustellen in der Überzeugung, dieser werde Gefallen daran haben, und in der berechneten Absicht, ihn – oder das obere Wesen überhaupt – damit zu bestechen und für sich einzunehmen. Die Empfindung des kühlen Lichtes, das mit der Abendluft seine Schultern berührte, war ihm wie ein Gelingen seines kindlichen Anschlages erschienen, der aus dem Grunde nicht schamlos genannt werden sollte, weil er auf das Opfer der Scham hinauslief. Man muß bedenken, daß die als äußerliche Gepflogenheit
Weitere Kostenlose Bücher