Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
aus Ägypterreich übernommene Sitte der Beschneidung in Josephs Sippe und Kreis von langer Hand her eine besondere mystische Bedeutung gewonnen hatte. Sie war die von Gott geforderte und eingesetzte Vermählung des Menschen mit ihr, der Gottheit, vorgenommen an dem Teil des Fleisches, der den Sammelpunkt seines Wesens zu bilden schien und auf den jedes körperliche Gelöbnis getan wurde. Mancher Mann trug den Namen Gottes auf seinem Zeugungsgliede oder schrieb ihn darauf, bevor er ein Weib besaß. Der Treubund mit Gott war geschlechtlich und fügte dadurch, geschlossen mit einem begehrenden und auf Alleinbesitz dringenden Schöpfer und Herrn, dem menschlich Männlichen sittigenderweise eine Abschwächung ins Weibliche zu. Das blutige Opfer der Beschneidung nähert sich in der Idee der Entmannung noch mehr als körperlich. Die Heiligung des Fleisches hat zugleich den Sinn der Keuschheit und ihrer Darbringung: einen weiblichen Sinn also. Außerdem war Joseph, wie er wußte und von jedermann hörte, hübsch und schön – eine Verfassung, die ein gewisses weibliches Bewußtsein ohnedies in sich schließt; und da »schön« das Beiwort war, das man vor allem auf den Mond, und zwar auf den vollen, unverdunkelten und unverhüllten, anzuwenden pflegte, ein Mondwort, das in der himmlischen Sphäre eigentlich zu Hause war und auf den Menschen genau genommen nur übertragenerweise Anwendung fand, so flossen ihm die Denkbilder »schön« und »nackt« fast ohne Unterschied ineinander über, und es schien ihm klug und fromm, die Schönheit des Gestirnes mit der eigenen Nacktheit zu beantworten, damit Vergnügen und Bewunderung gegenseitig seien.
Wir mögen nicht urteilen, wie nahe oder weit eine gewisse Ausartung seines Betragens mit diesen halbdunklen Gesinnungen zusammenhing. Jedenfalls stammten sie aus dem Ursinn einer vor seinen Augen noch immer gang und gäben kultischen Entblößung und schufen ihm eben darum angesichts des Vaters und seiner Zurechtweisung ein unbestimmtes Schuldgefühl. Denn er liebte und fürchtete des Alten Geistigkeit und ahnte deutlich, daß sie eine Gedankenwelt, mit der er selbst sich, wenn auch nur spielerischerweise, noch verbunden hielt, zum guten Teile als sündhaft verwarf, sie als vorabrahamitisch weit hinter sich wies, sie mit dem Wort ihres furchtbarsten und immer bereiten Tadels, dem Worte »götzendienerisch«, traf. Er war auf eine ausdrückliche, die Dinge stark bei Namen nennende Vermahnung solches Sinnes gefaßt. Aber Jaakob zog unter den Sorgen, die ihn, wie immer, um diesen Sohn bewegten, andere vor. Er fing an:
»Wahrlich, es wäre besser, das Kind schliefe schon nach getanem Gebet im Schutz der Hütte. Ich sehe es ungern allein in der Nacht, die zunimmt, und unter den Sternen, die den Guten und Bösen leuchten. Warum hielt es sich nicht zu den Söhnen Lea’s und ging nicht, wohin Bilha’s Söhne gingen?«
Er wußte wohl, warum Joseph das wieder einmal nicht getan hatte, und auch Joseph wußte, daß nur der Kummer über diese bekannten Verhältnisse ihn zu der Frage zwang. Er antwortete mit vorgeschobenen Lippen:
»Die Brüder und ich, wir haben es abgesprochen und in Frieden also beschlossen.«
Jaakob fuhr fort:
»Es geschieht, daß der Löwe der Wüste, und der im Röhricht des Abflusses wohnt, dort, wo er ins Salzmeer geht, herüberkommt, wenn ihn hungert, und in die Hürden fällt, wenn er nach Blut lechzt, damit er sich Beute hole. Es sind fünf Tage, daß Aldmodad, der Hirte, vor mir auf seinem Bauche lag und gestand, daß ein reißendes Tier vom Jungvieh zwei Mutterlämmer geschlagen habe in der Nacht und eines weggeschleppt, daß er es verzehre. Aldmodad war rein vor mir ohne Eid, denn er wies die geschlagene Zibbe vor in ihrem Blut, so daß es deutlich war dem Verstande, daß die andere der Löwe gestohlen, und der Schaden kommt auf mein Haupt.«
»Er ist gering«, sagte Joseph schmeichelnd, »und verhältnismäßig gleich nichts, so reich wie der Herr meines Herrn ihn aus Vorliebe gemacht hat in Mesopotamien.«
Jaakob neigte das Haupt und ließ es überdies noch etwas schräg sinken, zum Zeichen, daß er des Segens sich nicht überhebe, obgleich doch dieser nicht ohne kluge Nachhilfe von seiner Seite wirksam gewesen war. Er antwortete:
»Wem viel gegeben wurde, kann viel genommen werden. Hat der Herr mich silbern gemacht, so kann er mich irden und arm machen gleich der Topfscherbe des Kehrichts; denn seine Laune ist mächtig, und wir begreifen nicht die Wege
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