Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
ihn so der Frau mit dem Urmutternamen zum Ehegestrengen gegeben: nun mochten sie zusehen, wie sie einander die Würde stützten mit zarter Schonung. Es ist unnütz zu leugnen, daß die Menschenwürde sich in den beiden geschlechtlichen Abwandlungen des Männlichen und Weiblichen verwirklicht, so daß man, wenn man keines von beidem darstellt, zugleich auch außerhalb des Menschlichen steht – und woher soll da die Menschenwürde kommen! Die Stützungsversuche, die ihr gelten, sind freilich darum höchst achtbar, weil es sich dabei um Geistiges und also – es sei ehrenhalber zugegeben – doch auch immerhin und unbezweifelt um etwas vorzüglich Menschliches handelt. Die Wahrheit jedoch, bitter wie sie sei, verlangt das Eingeständnis, daß alles Geistig-Gedankliche nur schlecht, nur mühsam und kaum je auf die Dauer aufkommt gegen das Ewig-Natürliche. Wie wenig die Ehrenannahmen der Sitte, die gesellschaftlichen Übereinkünfte auszurichten vermögen gegen das tiefe, dunkle und schweigende Gewissen des Fleisches; wie schwerlich sich dieses vom Geiste und vom Gedanken betrügen läßt, das mußten wir schon in Frühzeiten der Geschichte, anläßlich von Rahels Verwirrung, erfahren. Mut aber, ihre gaufürstliche Schwester hier unten, stand durch ihre Verbundenheit mit dem Sonnenkämmerer ebenso außerhalb des Weiblich-Menschlichen wie er außerhalb des Männlich-Menschlichen; sie führte innerhalb ihres Geschlechts ein ebenso hohles und fleischlich-ehrloses Dasein wie er in dem seinen; und die Gottesehre, mit der sie das dunkle Wissen hiervon auszugleichen und mehr als auszugleichen gedachte, war ein ebenso geistig-gebrechliches Ding wie die Genugtuungen und Über-Genugtuungen, die ihr feister Gemahl sich durch sein forsches Gebaren als Rossebändiger und Nilpferdjäger mit einer Tapferkeit erzwang, die Joseph ihm in kluger Schmeichelei als das eigentlich Männliche hinzustellen gewußt hatte, obgleich sie an Geflissentlichkeit krankte und Peteprê sich in Wüste und Sumpf im Grunde beständig nach der Beschaulichkeit seiner Bücherhalle sehnte – nach dem Geistigen in seiner Reinheit also, anstatt in seiner Angewandtheit.
Aber es ist hier nicht von Potiphar die Rede, sondern von seiner Eni, dem Gottesweibe, und von der Wahlklemme zwischen Geistes- und Fleischesehre, in die sie sich ängstigend versetzt fand. Zwei schwarze Augen von ferner Herkunft, die Augen einer Lieblichen und allzu üppig Geliebten, hatten es ihr angetan, und ihre Ergriffenheit von ihnen war der Sache nach nichts als die im letzten oder vorletzten Augenblick ausbrechende Angst, ihre Fleischesehre, ihr weibliches Menschentum zu retten oder vielmehr zu gewinnen, was aber hieß, ihre Geistes- und Gottesehre, alles Hochgedankliche, worauf sich so lange ihr Dasein gegründet hatte, hinopfernd preiszugeben.
Halten wir indessen hier inne, und bedenken wir die Sache recht! Bedenken wir sie mit ihr, die mit wachsender Qual und Lust Tag und Nacht daran dachte! War die Wahlklemme echt, und entehrt, entheiligt jemals das Opfer? Das war die Frage. Ist Geweihtheit der Keuschheit gleich? Ja und nein; denn im Stande der Brautschaft heben gewisse Gegensätze sich auf, und der Schleier, dieses Zeichen der Liebesgöttin, ist das Zeichen der Keuschheit zugleich und ihres Opfers, das Zeichen der Nonne und auch der Buhldirne. Die Zeit und ihr Tempelgeist kannten die Geweihte und Makellose, die Kedescha, die eine »Bestrickende« war, will sagen eine Hurerin auf der Straße. Ihrer war der Schleier; und »makellos« waren diese Kadischtu, wie das Tier es ist, das eben seiner Makellosigkeit wegen zum Gottesopfer bestimmt ist im Feste. Geweiht? Es fragt sich, wem und wozu. Ist man der Ischtar geweiht, so ist die Keuschheit nur ein Stadium des Opfers und ein Schleier, der bestimmt ist, zerrissen zu werden.
Wir haben hier die Gedanken der ringend Verliebten mitgedacht, und hätte das Zwerglein Gottlieb, fremd dem Geschlecht und ihm ängstlich feind wie es war, sie belauscht, so hätte es wohl geweint ob der kläglichen Schlauheit dieser dem Hange und nicht dem Geiste dienstbaren Gedanken. Es hatte leicht weinen, denn es war nur ein Lurch und ein tanzendes Närrchen und wußte von Menschenwürde nichts. Der Herrin Mut aber ging es um ihre Fleischesehre, und so war sie auf Gedanken angewiesen, in denen diese sich möglichst mit ihrer Gottesehre versöhnte. So gebührte ihr Nachsicht und Sympathie, auch wenn es etwas zweckhaft dabei zuging; denn selten sind Gedanken um
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