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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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uneingeständlichen Worten blieb, niemandem mitteilen konnte – wenigstens anfangs nicht (denn später büßte sie alle Hemmungen ein und machte ihre ganze Umgebung zu Teilnehmern ihrer Raserei); bedenkt man ferner, daß sie mit ihrer Blutsnot an einen Beeiferten geriet, der höhere Rücksichten zu nehmen hatte und ein Kraut der Treue und des Hochmuts, mit einem Worte: der Erwähltheit im Haare trug, also daß er ihrer Versuchung nicht erliegen wollte und durfte; nimmt man dann gar noch hinzu, daß diese Qual drei Jahre dauerte, vom siebenten bis zum zehnten des Aufenthalts Josephs in Potiphars Haus, und auch dann nicht gestillt, sondern nur getötet wurde, – so wird man zugeben, daß »Potiphars Weib«, die schamlose Verführerin und Lockspeise des Bösen nach dem Volksmunde, es recht schwer hatte mit ihrem Schicksal, und ihr wenigstens die Sympathie widmen, die aus der Einsicht erwächst, daß die Werkzeuge der Prüfung ihre Strafe in sich tragen und durch sich selber davon schon mehr dahinhaben, als sie in Anbetracht der Notwendigkeit ihrer Funktion verdienen.
    Das erste Jahr
    Drei Jahre: Im ersten suchte sie, ihm ihre Liebe zu verhehlen, im zweiten gab sie sie ihm zu erkennen, im dritten trug sie sie ihm an.
    Drei Jahre: und mußte oder durfte ihn täglich sehen, denn sie lebten einander nahe als Hausgenossen auf Potiphars Hof, was tägliche Nahrung bedeutete der Narrheit und große Gunst für sie, aber zugleich große Qual. Denn mit Müssen und Dürfen verhält sich’s in der Liebe nicht ebenso sanft wie beim Schlummer, auch wie beim letzten nicht, wo Joseph in stillenden Reden das Dürfen fürs Müssen gesetzt hatte zur Befriedung Mont-kaws. Es ist vielmehr ein verschlungener Widerstreit voller Pein und Verworrenheit, welcher auf eine erwünscht-verwünschte Weise die Seele spaltet, dergestalt, daß der Liebende dem Sehen-Müssen ebenso herzlich flucht, wie er es als ein selig Dürfen segnet und, je heftiger er unter den Folgen des letzten Mals leidet, desto sehnlicher nach der nächsten Gelegenheit trachtet, durch Sehen seine Sucht anzufeuern – und zwar gerade dann, wenn diese etwa gar im Begriffe war, nachzulassen, worüber sich dankbar zu freuen der Kranke vernünftigen Grund hätte. Denn tatsächlich kommt es ja vor, daß ein dem Glanze des Gegenstandes irgendwie abträgliches Wiedersehen mit diesem eine gewisse Enttäuschung, Ernüchterung und Abkühlung mit sich bringt, und desto willkommener sollte sie dem Liebenden sein, als durch das Abnehmen der eigenen Verliebtheit, vermöge größerer Geistesfreiheit, die Fähigkeit wächst, zu erobern und dem anderen das zuzufügen, was man selber leidet. Worauf es ankäme, wäre, seiner Leidenschaft Herr und Meister zu sein, nicht aber ihr Opfer; weil nämlich die Möglichkeit, den anderen zu gewinnen, erheblich zunimmt durch Nachlassen des eigenen Gefühls. Davon aber will der Liebende nichts wissen, und die Vorteile wiederkehrender Gesundheit, Frische und Keckheit, welche doch Vorteile sind sogar in bezug auf das Ziel, neben dem er kein höheres kennt, achtet er für nichts gegen die Einbuße, die er durch die Abkühlung seines Gefühls zu erleiden meint. Diese überliefert ihn einem Zustand der Öde und Leere, wie ihn dem Rauschsüchtigen der Entzug der Droge verursachen mag, und aus allen Kräften ist er darauf aus, durch neu entflammende Eindrücke die vorige Verfassung wieder herzustellen.
    So steht es mit Müssen und Dürfen in Dingen der Liebesnarrheit, die unter allen Narrheiten die größte ist, so daß man das Wesen der Narrheit und das Verhältnis ihres Opfers zu ihr am besten daran erkennen mag. Denn der Ergriffene, wie sehr er unter seiner Passion auch seufzen möge, ist doch nicht nur außerstande, sie nicht zu wollen, sondern auch nicht einmal fähig, zu wünschen, daß er dazu imstande wäre. Er weiß wohl, daß er bei dauerndem Nicht-mehr-Sehen binnen einer Frist, die vielleicht sogar beschämend kurz wäre, seiner Leidenschaft ledig würde; aber gerade dies, das Vergessen, verabscheut er über alles – wie ja jeder Abschiedsschmerz auf der geheimen Voraussicht unvermeidlichen Vergessens beruht, über das man, nachdem es eingetreten, keinen Schmerz mehr wird empfinden können und das man also im voraus beweint. Niemand sah Mut-em-enets Antlitz, als sie es, nach vergeblichem Ringen mit Peteprê, ihrem Gatten, um die Entfernung Josephs, an den Pfeiler gelehnt, in den Falten ihres Kleides verbarg. Aber viel, ja alles hat die Vermutung für

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