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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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auch allerdings zwei Söhne namens Damasek und Elinos hatte und den Knaben Joseph unter dem Unterweisungsbaum in vielen nützlichen und übernützlichen Kenntnissen zu fördern pflegte. Man kann es wohl sonnenklar nennen, daß der, den er meinte, der Eliezer war, dessen erstgeborenen Sohn Abraham, der Wanderer aus Ur oder Charran, lange Zeit als seinen Erben hatte betrachten müssen: so lange nämlich, bis zuerst Ismael, dann aber, gelächtervollerweise, obgleich es der Sarai schon nicht mehr nach der Weiber Art gegangen und Abraham selbst so alt gewesen war, daß man ihn einen Hundertjährigen nennen konnte, Jizchak oder Isaak, der wahrhafte Sohn, das Licht erblickt hatte. Aber die Klarheit der Sonne ist eine und eine andere des Mondes Klarheit, die ja bei jenem übernützlichen Gespräch wunderbar obgewaltet hatte. In ihr nehmen die Dinge sich anders aus als in jener, und sie mochte diejenige sein, die damals und dort dem Geist als die wahre Klarheit erschien. Darum sei unter uns gesagt und zugegeben, daß Jaakob mit »Eliezer« dennoch seinen eigenen Hausvogt und ersten Knecht gemeint hatte, – auch ihn nämlich, beide auf einmal also, und nicht nur beide, sondern »den« Eliezer überhaupt: denn seit dem ältesten zu seiner Zeit hatte es auf den Höfen der Häupter ihn, den freigelassenen Eliezer, gar oft gegeben, und oft hatte er Söhne mit Namen Damasek und Elinos gehabt.
    Diese Meinung und Gesinnung Jaakobs war denn auch – des hatte der Alte sicher sein können – durchaus die Meinung und Gesinnung Josephs gewesen, der weit entfernt war, zwischen Eliezer, dem Ur-Knecht, und seinem alten Lehrer sonnenklar zu unterscheiden, und um so weniger Ursache dazu hatte, als dieser selbst es nicht tat, sondern, wenn er von »sich« sprach, zu einem guten Teil Eliezer, den Knecht Abrahams, meinte. So zum Beispiel hatte er dem Joseph mehr als einmal die Geschichte, wie er, Eliezer, bei des Hauses Verwandten in Mesopotamien Rebekka, die Tochter Bethuels und Labans Schwester, für Jizchak gefreit hatte, haargenau bis auf die kleinen Monde und Mondsicheln, die an den Hälsen seiner zehn Dromedare geklingelt, bis auf den präzisen Schekelwert der Nasenringe, Armspangen, Festkleider und Gewürze, die den Mahlschatz und Kaufpreis für Rebekka, die Jungfrau, gebildet hatten, als seine eigene Geschichte und Lebenserinnerung erzählt und sich nicht genugtun können in der Beschreibung von Rebekka’s liebreizender Milde, als sie an jenem Abend am Brunnen vor Nahors Stadt den Krug vom Kopfe auf die Hand herabgelassen und ihn zum Trunke geneigt hatte für ihn, den Durstigen, den sie, was er ihr besonders hoch anrechnete, »Herr« genannt; von dem züchtigen Anstand, mit dem sie beim ersten Anblick Isaaks, der zur Klage um seine kürzlich geschiedene Mutter aufs Feld gegangen, von ihrem Kamel gesprungen war und sich verschleiert hatte. Dem hörte Joseph mit einem Ergötzen zu, das durch keinerlei Befremden über die grammatische Form beeinträchtigt wurde, in der Eliezer es zum besten gab, und dem jede Anstoßnahme fernblieb daran, daß des Alten Ich sich nicht als ganz fest umzirkt erwies, sondern gleichsam nach hinten offenstand, ins Frühere, außer seiner eigenen Individualität Gelegene überfloß und sich Erlebnisstoff einverleibte, dessen Erinnerungs- und Wiedererzeugungsform eigentlich und bei Sonnenlicht betrachtet die dritte Person statt der ersten hätte sein müssen. Was aber auch heißt denn hier »eigentlich«, und ist etwa des Menschen Ich überhaupt ein handfest in sich geschlossen und streng in seine zeitlich-fleischlichen Grenzen abgedichtetes Ding? Gehören nicht viele der Elemente, aus denen es sich aufbaut, der Welt vor und außer ihm an, und ist die Aufstellung, daß jemand kein anderer sei und sonst niemand, nicht nur eine Ordnungs- und Bequemlichkeitsannahme, welche geflissentlich alle Übergänge außer acht läßt, die das Einzelbewußtsein mit dem allgemeinen verbinden? Der Gedanke der Individualität steht zuletzt in derselben Begriffsreihe wie derjenige der Einheit und Ganzheit, der Gesamtheit, des Alls, und die Unterscheidung zwischen Geist überhaupt und individuellem Geist besaß bei weitem nicht immer solche Gewalt über die Gemüter wie in dem Heute, das wir verlassen haben, um von einem anderen zu erzählen, dessen Ausdrucksweise ein getreues Bild seiner Einsicht gab, wenn es für die Idee der »Persönlichkeit« und »Individualität« nur dermaßen sachliche Bezeichnungen kannte wie »Religion«

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