Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
wieder Fleisch werden zu lassen. – Oder aber Rebekka’s Gatte hat die Geschichte nicht »selbst«, nicht in den engeren fleischlichen Grenzen seines Ichs erlebt, sie aber gleichwohl als zu seiner Lebensgeschichte gehörig betrachtet und den Späteren überliefert, weil er zwischen Ich und Nicht-Ich weniger scharf unterschied, als wir es (mit wie zweifelhaftem Recht, wurde schon angedeutet) zu tun gewohnt sind oder bis zum Eintritt in diese Erzählung zu tun gewohnt waren; weil für ihn das Leben des Einzelwesens sich oberflächlicher von dem des Geschlechtes sonderte, Geburt und Tod ein weniger tiefreichendes Schwanken des Seins bedeutete, – so daß also der schon betrachtete Fall des späten Eliezer vorläge, welcher dem Joseph Abenteuer des Ur-Eliezer in der ersten Person erzählte; die Erscheinung offener Identität, mit einem Wort, die derjenigen der Imitation oder Nachfolge an die Seite tritt und in Verschränkung mit ihr das Selbstgefühl bestimmt.
Wir geben uns keiner Täuschung hin über die Schwierigkeit, von Leuten zu erzählen, die nicht recht wissen, wer sie sind; aber wir zweifeln nicht an der Notwendigkeit, mit einer solchen schwankenden Bewußtseinslage zu rechnen, und wenn der Isaak, der Abrahams ägyptisches Abenteuer wiedererlebte, sich für den Isaak hielt, den der Ur-Wanderer hatte opfern wollen, so ist das für uns kein bündiger Beweis, daß er sich nicht täuschte, – es sei denn, die Opfer-Anfechtung habe zum Schema gehört und sich wiederholt zugetragen. Der chaldäische Einwanderer war der Vater Isaaks, den er schlachten wollte, aber so unmöglich es ist, daß dieser der Vater von Josephs Vater war, den wir am Brunnen beobachteten, so möglich ist es, daß der Isaak, der Abrahams Hirtenstreich imitierte oder in sein persönliches Leben einbezog, sich wenigstens zum Teil mit dem um ein Haar geschlachteten Isaak verwechselte, obgleich er in Wirklichkeit ein viel späterer Isaak war und von dem Ur-Abiram generationsweise weit abstand. Es hat unmittelbare Gewißheit und bedarf zwar der Klarstellung, aber keines Beweises, daß die Geschichte von Josephs Vorfahren, wie die Überlieferung sie bietet, eine fromme Abkürzung des wirklichen Sachverhaltes darstellt, das heißt: der Geschlechterfolge, die die Jahrhunderte gefüllt haben muß, welche zwischen dem Jaakob, den wir sahen, und Ur-Abraham liegen; und ebenso wie Ur-Abrahams natürlicher Sohn und Hausvogt Eliezer seit den Tagen, da er für seinen Jungherrn Rebekka gefreit hatte, oft im Fleische gewandelt war, auch wohl oft überm Wasser Euphrat eine Rebekka erworben hatte und jetzt eben wieder, als Josephs Lehrer, sich des Lichtes freute: ebenso hatte seither so mancher Abraham, Isaak und Jaakob die Geburt des Tages aus der Nacht geschaut, ohne daß der einzelne es mit der Zeit und dem Fleische übertrieben genau genommen, seine Gegenwart von ehemaliger Gegenwart sonnenklar unterschieden und die Grenzen seiner »Individualität« gegen die der Individualität früherer Abrahams, Isaaks und Jaakobs sehr deutlich abgesetzt hätte.
Diese Namen waren geschlechtserblich, – wenn das Wort richtig oder genügend ist in Hinsicht auf die Gemeinschaft, in der sie wiederkehrten. Denn das war eine Gemeinschaft, deren Wachstum nicht dasjenige eines Familienstammes war, sondern eines Bündels von solchen, außerdem aber zum guten Teile von jeher auf Seelengewinnung, Glaubenspropagation beruht hatte. Es ist notwendig, Abrahams, des Ur-Einwanderers, Stammvaterschaft hauptsächlich geistig zu verstehen, und ob Joseph wirklich im Fleische mit ihm verwandt war, ob sein Vater es war – und zwar in so gerader Linie, wie sie annahmen –, steht stark dahin. Das tat es übrigens auch für sie selbst; nur daß das Zwielicht ihres und des allgemeinen Bewußtseins ihnen erlaubte, es auf eine träumerische und fromm benommene Weise dahinstehen zu lassen, Worte für Wirklichkeit und Wirklichkeit halb nur für ein Wort zu nehmen und Abraham, den Chaldäer, ungefähr in dem Geiste ihren Groß- und Urgroßvater zu nennen, wie dieser selbst den Lot aus Charran seinen »Bruder« und Sarai seine »Schwester« genannt hatte, was ebenfalls zugleich wahr und nicht wahr gewesen ist. Nicht einmal im Traum aber konnten die Leute El eljons ihrem Zusammenhange Einheit und Reinheit des Blutes zuschreiben. Da war babylonisch-sumerische – also nicht durchaus semitische – Art hindurchgegangen durch arabisches Wüstenwesen, aus Gerar, aus Muzri-Land, aus Ägypten selbst hatten
Weitere Kostenlose Bücher