Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
sicher gewesen, auf die Weise, wie er es anfing, der ägyptischen Wollust am besten ein Schnippchen zu schlagen, – als unter diesem Aspekt sein Verhalten, die Verleugnung seines Gattentums und die Aufopferung Sarai’s um seines eigenen Heiles willen, erst in das rechte Licht, und zwar ein sehr geistreiches, gerückt wird.
Dies die Geschichte, deren Wahrheit die Überlieferung noch besonders dadurch unterstreicht und erhärtet, daß sie sie ein zweites Mal berichtet, mit dem Unterschied, daß sie hier nicht in Ägypten, sondern im Philisterlande und dessen Hauptstadt Gerar, am Hofe des Königs Abimelek, sich zuträgt, wohin der Chaldäer mit Sarai von Hebron gekommen war und wo denn von der Bitte Abrahams an sein Weib bis zum glücklichen Ausgang alles wie oben sich abspielt. Die Wiederholung eines Berichtes als Mittel zu dem Zweck, seine Wahrhaftigkeit zu betonen, ist ungewöhnlich, ohne sehr aufzufallen. Weit merkwürdiger ist, daß, der Überlieferung zufolge, deren schriftliche Befestigung zwar aus spätern Tagen stammt, die aber als Überlieferung natürlich immer bestand und zuletzt auf die Aussagen und Berichte der Väter selbst zurückgeführt werden muß, – daß also dasselbe Erlebnis, zum drittenmal erzählt, dem Isaak zugeschrieben wird und daß folglich er es als sein Erlebnis – oder gleichfalls als das seine – dem Gedächtnis vermacht hat. Denn auch Isaak kam (es war einige Zeit nach der Geburt seiner Zwillinge) aus Anlaß einer Teuerung mit seinem schönen und klugen Weibe in das Philisterland an den Hof von Gerar; auch er gab dort, aus denselben Gründen wie Abraham die Sarai, Rebekka für seine »Schwester« aus – nicht ganz mit Unrecht, da sie die Tochter seines Vetters Bethuel war –, und die Geschichte setzte sich in seinem Falle nun dahin fort, daß König Abimelek »durchs Fenster«, das ist: als ein heimlicher Späher und Lauscher, Isaak mit Rebekka »scherzen« sah und von dieser Beobachtung so erschreckt und enttäuscht war, wie ein Liebhaber es nur sein mag, der gewahr wird, daß der Gegenstand seiner Wünsche, den er für frei gehalten, sich in festen Händen befindet. Seine Worte verraten ihn. Denn da Jizchak, zur Rede gestellt, die Wahrheit zugab, rief der Philister vorwurfsvoll: »Welche Gefahr hast du, Fremdling, über uns heraufbeschworen! Wie leicht hätte es geschehen können, daß jemand aus meinem Volk sich mit dem Weibe vertraut gemacht hätte, und welche Schuld wäre somit auf uns gekommen!« Die Wendung »jemand vom Volk« ist unmißverständlich. Das Ende aber war, daß die Gatten sich unter den besonderen und persönlichen Schutz des frommen, wenn auch lüsternen Königs gestellt sahen und daß Isaak unter diesem Schutz im Philisterlande ebenso zunahm wie einst Abraham dort oder in Ägypten und an Vieh und Gesinde dermaßen groß ward, daß es den Philistern sogar zuviel wurde und sie ihn behutsam von dannen nötigten.
Gesetzt, auch Abrahams Abenteuer habe sich in Gerar zugetragen, so ist nicht glaubhaft, daß der Abimelek, mit dem Jizchak es zu tun hatte, noch derselbe war, der sich verhindert gefunden hatte, Sarai’s eheliche Reinheit zu verletzen. Die Charaktere sind unterscheidbar; denn während Sarai’s fürstlicher Liebhaber diese kurzerhand seinem Harem einverleiben ließ, verhielt Isaaks Abimelek sich weit schüchterner und schamhafter, und die Annahme, sie seien ein und derselbe gewesen, wäre höchstens unter dem Gesichtspunkt zu vertreten, des Königs vorsichtiges Verhalten im Falle Rebekka’s sei darauf zurückzuführen, daß er erstens seit Sarai’s Tagen viel älter geworden und zweitens durch das Vorkommnis mit ihr bereits gewarnt gewesen sei. Aber nicht auf des Abimelek Person kommt es uns an, sondern auf Isaaks, auf die Frage seines Verhältnisses zu der Frauengeschichte, und auch sie beunruhigt uns, genau genommen, nur mittelbar, um der weiteren Frage willen, wer Jaakob war: der Jaakob nämlich, den wir mit seinem Söhnchen Joseph, Jaschup oder Jehosiph im Mondschein haben plaudern hören.
Erwägen wir die Möglichkeiten! Entweder hat Jizchak zu Gerar in leichter Abwandlung dasselbe erlebt, was sein Vater ebendort oder in Ägypten erlebt hatte. In diesem Falle liegt eine Erscheinung vor, die wir als Imitation oder Nachfolge bezeichnen möchten, eine Lebensauffassung nämlich, die die Aufgabe des individuellen Daseins darin erblickt, gegebene Formen, ein mythisches Schema, das von den Vätern gegründet wurde, mit Gegenwart auszufüllen und
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