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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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vorgeschrittener Wechselheiligung im Bunde mit dem Menschengeist die Gegenstände zügelloser Gefühlsüppigkeit und der Abgötterei verfolgte, wovon Rahel ein Lied zu singen wußte. Wir sagten damals voraus, daß Joseph, ihr Reis, sich auf diese Lebendigkeit Gottes sogar besser verstehen und ihr geschmeidiger werde Rechnung zu tragen wissen als Jaakob, sein gefühlvoller Erzeuger. Nun denn, seine Keuschheit war vor allem einmal der Ausdruck dieses Verständnisses und Bedachtes. Natürlich hatte er begriffen, daß sein Leiden und Sterben – was immer sonst noch Weittragendes damit bezweckt sein mochte – die Strafe gewesen war für Jaakobs stolzes Gefühl, die Nachahmung einer majestätischen Erwählungslust, die nicht geduldet worden war, – eine höchste Eifersuchtshandlung, die sich gegen den armen Alten gerichtet hatte. Insofern galt Josephs Heimsuchung nur dem Vater und war nichts als die Fortsetzung derjenigen Rahels, die allzusehr zu lieben Jaakob nicht aufgehört hatte, nämlich im Sohne. Aber Eifersucht hat doppelten Sinn, zweifache Möglichkeit des Bezuges. Man kann auf einen Gegenstand eifersüchtig sein, weil ein anderer, dessen ganzes Gefühl man beansprucht, ihn allzusehr liebt; oder man kann diesen Gegenstand beeifern, weil man selber ihn ungeheuer erwählt hat und sein ganzes Gefühl für sich selber begehrt. Eine dritte Möglichkeit ist, daß dies beides zusammentrifft und sich zur vollkommenen Eifersucht vereinigt, – und Joseph tat grundsätzlich nicht so unrecht, in seinem Falle Vollkommenheit zu unterstellen. Nach seiner Meinung war er zerrissen und entrückt worden nicht nur und nicht einmal in erster Linie zur Züchtigung Jaakobs – oder doch vorwiegend darum zum Zweck dieser Züchtigung, weil er selbst ein Gegenstand übergewaltiger Erwählungslust, großmächtigen Begehrens und eifersüchtiger Vorbehaltenheit war: und zwar in einem Sinn, über den Jaakob wohl manches sorgend vermutete, der aber seinem eigenen gesetzten und zu solcher Verschmitztheit noch nicht heraufgestuften Vätersinn ferne lag. Wir rechnen durchaus damit, daß auch ein neuzeitliches Empfinden durch Ideen wie diese, durch eine solche Betontheit des Verhältnisses zwischen Schöpfer und Geschöpf schwer verwirrt und verletzt werden mag; denn sie ist uns so wenig gemäß wie gesetzter Vätervernunft. Aber sie hat ihren Ort in der Zeit und Entwicklung, und seelenwissenschaftlich ist kein Zweifel, daß mehr als einem überlieferten, im Schutz einer Wolke sich abspielenden befruchtenden Zwiegespräch zwischen dem Nichtanschaubaren (welchen Namen Er nun immer trug) und seinem Schüler und Liebling ein Charakter ungeheurer Pikanterie zukam, der Josephs Auffassung der Dinge grundsätzlich rechtfertigt und ihre Wahrscheinlichkeit nur noch von seiner persönlichen Würdigkeit abhängen läßt, über die wir nicht rechten wollen.
    »Ich halte mich rein«, hatte Benjamin, der Kleine, einst im Adonisgarten aus dem Munde des bewunderten Bruders vernommen, und es hatte sich sowohl auf die Reinheit seines Gesichtes vom Barte bezogen, der die besondere Schönheit seiner siebzehn Jahre aufgehoben hätte, wie auch auf sein Verhältnis zur Außenwelt, welches ebendas einer vom Dämeligen weit entfernten Enthaltsamkeit gewesen und geblieben war. Sie bedeutete nichts weiter als Vorsicht, Gottesklugheit, heilige Rücksichtnahme, in welcher das Erlebnis furchtbarer Vergewaltigung mit der Zerreißung von Kranz und Schleier ihn nur höchlich hatte bestärken können; und man muß sich überzeugen, daß der mit ihr verbundene Hochmut alle entbehrende Düsterkeit von ihr entfernte. Es ist nicht die Rede von finster-mühseliger Kasteiung, in deren hagerem Bilde ein neuzeitlicher Sinn die Keuschheit fast unvermeidlich erblickt. Daß es eine heitere, ja übermütige Keuschheit gebe, wird dieser Sinn am Ende einräumen müssen; und wenn schon eine gewisse helle und kecke Geistigkeit den Joseph für diese stimmte, so tat die Seligkeit frommen Brautschaftsdünkels ein übriges, ihm leicht zu machen, was anderen grimmige Beschwer bedeutet. Aus Muts, der Herrin, Munde war im Gespräch mit der Ehrenkebse Meh-en-Wesecht ein klagend Wort gefallen von Spottlust, die sie in des Jungmeiers Augen gefunden haben wollte, – von Spott über die trüben Bande der Sucht, beschämend für die Süchtige. Das war eine recht gute Beobachtung; denn wirklich war von den drei Tieren, die nach Josephs Angabe den Garten der Netzestellerin bewachten: »Scham«, »Schuld«

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