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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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erklärt, ist nicht ganz erklärt; es gab der Gründe noch mehr für sein Mißbehagen: Gründe einer Vermännlichung des Knaben Joseph, deren Gedankenbild die Erweckung des toten Osiris durch das über ihm schwebende Geierweibchen war, das den Horus von ihm empfing. Muß man auf die starke Übereinstimmung dieses Bildes mit den wirklichen Umständen hinweisen, – mit dem Umstand zum Beispiel, daß auch Mut, wenn sie vor Amun tanzte als Nebenfrau Gottes, die Geierhaube trug? Es ist kein Zweifel: sie selbst, die Berührte, war die Ursache einer Vermännlichung, welche Begehren und Werbung für sich selber in Anspruch zu nehmen begann und es als unschicklich empfand, herrinnenhafte Komplimente entgegenzunehmen.
    Darum sah Joseph in solchen Fällen die Frau nur schweigend an mit seinen gelobten Augen und wandte sie dann den Rollen in seinem Arme zu, indem er sich gestattete, anzufragen, ob man nicht, nach der persönlichen Abschweifung, zur Beratung der Geschäfte zurückkehren wolle. Mut aber, bestärkt in ihrer Abneigung dagegen durch Dûdu, den Antreiber, überhörte es und folgte weiter dem Wunsche, ihm ihre Liebe bekanntzugeben. Wir sprechen hier nicht von einem einzelnen Auftritt, sondern von zahlreichen, untereinander sehr ähnlichen Vorkommnissen des zweiten Liebesjahrs. Benommen und unumschränkt, sagte sie ihm Entzücktes nicht nur über seine Augen, sondern auch über seinen Wuchs, seine Stimme, sein Haar, indem sie dabei von seiner Mutter, der Lieblichen, ausging und sich über den verwandelnden Erbgang wunderte, durch welchen Vorzüge, die dort weibliches Form- und Baugepräge getragen hätten, in männlicher Gestalt und Klangfarbe auf den Sohn gekommen seien. – Was sollte er machen? Man muß anerkennen, daß er lieb und gut zu ihr war und ihr gütlich zuredete; und zwar sehen wir ihn zu besonnenen Hinweisen seine Zuflucht nehmen auf die schlechte Beschaffenheit dessen, was sie bewunderte, um sie zu ernüchtern.
    »Laß doch, Herrin«, sprach er, »und rede nicht so! Diese Hervorbildungen, denen du Beachtung gönnst und Betrachtung, – was ist es weiter damit? Im Grunde ein Jammer! Man tut wirklich gut, sich daran zu erinnern – sich und auch den, der ihnen etwa lächelt –, was jeder ohnedies weiß, aber zu vergessen geneigt ist aus Schwachheit: aus wie minderem Stoffe das alles besteht, sofern es besteht, aber es ist ja unbeständig, daß Gott erbarm’! Bedenke doch, daß diese Haare kläglich ausfallen werden über ein kleines und diese jetzt weißen Zähne auch. Diese Augen sind nur ein Gallert aus Blut und Wasser, sie sollen dahinrinnen, so, wie der ganze übrige Schein bestimmt ist, zu schrumpfen und schnöde zunichte zu werden. Sieh, ich erachte es für anständig, diese Vernunftüberlegung nicht ganz für mich zu behalten, sondern sie auch dir zur Verfügung zu stellen, falls du glauben solltest, sie könnte dir nützlich sein.«
    Aber das glaubte sie nicht, und ganz untauglich machte ihre Verfassung sie zum Gegenstand der Erziehung. Nicht daß sie ihm gezürnt hätte wegen der Bußvermahnung: sie war viel zu froh, daß nicht von Mohrenhirse und solchen beklemmenden Ehrenhaftigkeiten die Rede war, sondern das Gespräch sich auf einem Gebiet bewegte, auf dem sie sich weiblich zuständig fühlte, so daß es ihre Füße nicht ankam, zu fliehen.
    »Wie wunderlich du sprichst, Osarsiph«, entgegnete sie ihm, und ihre Lippen liebkosten den Namen. »Grausam und falsch ist deine Rede, – falsch vor Grausamkeit nämlich; denn wenn sie auch wahr ist und unbestreitbar nach ihrem Vernunftgehalt, – so hält sie doch für Herz und Gemüt nicht im mindesten stand und ist für diese wahrhaftig nicht besser als eine klingende Schelle. Denn weit gefehlt, daß die Vergänglichkeit des Stoffes ein Grund weniger wäre für sie, die Form zu bewundern, ist sie sogar einer mehr, weil sie in unsre Bewunderung eine Rührung mischt, deren diejenige ganz entbehrt, die wir der stofflich beständigen Schönheit widmen aus Erz und Stein. Unvergleichlich blühender ist unsere Neigung zu der schönen Lebensgestalt denn zu der Dauerschönheit der Bilder aus den Werkstätten des Ptach, und wie willst du das Herz wohl lehren, daß der Stoff des Lebens geringer und schnöder sei als der Dauerstoff seiner Nachbilder? Nie und nimmer lernt das ein Herz und nimmt es nicht an. Denn die Dauer ist tot, und nur Totes dauert. Mögen Ptachs emsige Schüler den Bildern auch Blitze ins Auge fügen, daß sie zu schauen scheinen: sie sehen

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