Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
dich nicht, nur du siehst sie, sie erwidern dir nicht mit ihrem Dasein als ein Du, das ein Ich ist und deinesgleichen. Rührend aber ist nur die Schönheit von unseresgleichen. Wer wäre auch wohl versucht, einer Dauerfigur aus der Werkstatt die Hand auf die Stirn zu legen und sie zu küssen auf ihren Mund? Da siehst du denn, wieviel blühender und gerührter die Neigung ist zur allerdings vergänglichen Lebensgestalt! – Vergänglichkeit! Warum und zu welchem Ende sprichst du mir, Osarsiph, von ihr und mahnst mich mit ihrem Namen? Trägt man die Mumie um den Saal zur Mahnung, das Fest zu beenden, weil alles vergänglich ist? Nein, ganz im Gegenteil! Denn auf ihrer Stirn steht geschrieben: ›Feiere den Tag!‹«
Gut und wirklich vorzüglich geantwortet – nämlich in seiner Art, in der Art der Benommenheit, welcher die aus gesunden Tagen mitgebrachte Gescheitheit zum bestechenden Kleide dienen muß. Joseph seufzte nur und sagte nichts mehr dawider. Er fand, daß er das Seine getan habe, und unterließ es, auf der tieferen Greuelhaftigkeit alles Fleisches unter der Oberfläche weiter zu bestehen – in der Erkenntnis, daß die Benommenheit darüber hinweggehe und daß »Herz und Gemüt« nun einmal nichts davon wissen wollten. Er hatte mehr zu tun, als der Frau klarzumachen, daß entweder das Leben Betrug sei, wie bei den Bildern der Werkstätten, oder die Schönheit, wie beim verweslichen Menschenkind, und daß jene Wahrheit, in welcher Leben und Schönheit solide und ohne Täuschung eines sind, einer anderen Ordnung angehöre, auf die allein man gut tue, den Sinn zu richten. Zum Beispiel hatte er seine liebe Not, die Geschenke abzuwehren, mit denen sie ihn neuestens überschütten wollte – aus einem urtümlichen und jederzeit regen Drange der Liebenden, wurzelnd im Gefühle der Abhängigkeit von dem Wesen, das man sich zum Gotte gesetzt, im Instinkt der Opferdarbringung, der schmückenden Verherrlichung und werbender Bestechung. Das ist nicht alles. Das Liebesgeschenk dient auch dem Zweck der Besitzergreifung und der Beschlagnahme, es dient dazu, dies Wesen gegen die übrige Welt mit einem Schutzzeichen der Hörigkeit auszumerken, es einzukleiden in die Livree der Nicht-mehr-Verfügbarkeit. Trägst du meine Gabe, so bist du mein. Das vorzüglichste Liebesgeschenk ist der Ring: wer ihn gibt, weiß wohl, was er will, und wer ihn nimmt, sollte auch wissen, wie ihm geschieht und daß jeder Ring das sichtbare Glied einer unsichtbaren Kette ist. So schenkte Eni dem Joseph, angeblich zum Dank seiner Verdienste und dafür, daß er sie in die Geschäfte einweihte, mit benommener Miene einen höchst kostbaren Ring mit geschnittenem Käfer, dazu im Lauf der Zeit noch andre Kleinodien wie goldene Pulsspangen und steinbunte Halskrägen, ja ganze Feierkleider vornehmer Arbeit: das heißt, sie wollte ihm all dies »schenken« und versuchte jeweilen, es ihm mit unschuldigen Worten aufzudrängen. Er aber, nachdem er eins oder das andere ehrerbietig genommen, weigerte sich des übrigen, mit zarten und bittenden Worten zuerst, dann auch mit kürzer angebundenen. Und diese waren es, die ihn seiner Lage gewahr werden ließen, so daß er sie wiedererkannte.
Als er nämlich zur Abwehr eines angesonnenen Feierkleides recht kurz zu ihr sagte: »Mein Gewand und mein Hemd genügen mir«, – da erkannte er klar, was gespielt wurde. Er hatte unversehens geantwortet wie Gilgamesch, als Ischtar ihn bestürmte, seiner Schönheit wegen, und ihn anging: »Wohlan, Gilgamesch, gatten sollst du dich mir, deine Frucht mir schenken!« – wobei sie ihm ihrerseits vieler Geschenke Pracht für den Fall der Gewährung in Aussicht gestellt hatte. Ein solches Wiedererkennen ist sowohl beruhigend wie erschreckend. »Da ist es wieder!« sagt sich der Mensch und empfindet das Gegründet-Seiende, das mythisch Geschützte und mehr als Wirkliche, nämlich Wahre dessen, was geschieht, was eine Beruhigung bedeutet. Doch auch ein Erschrecken durchfährt ihn, sich in ein Fest- und Maskenspiel, die Vergegenwärtigung einer so und so verlaufenden Göttergeschichte, die abgespielt wird, mimend hineingestellt zu finden, und es ist ihm als wie im Traum. So, so, dachte Joseph, indem er die arme Mut betrachtete. Anu’s verbuhlte Tochter bist du in deiner Wahrheit und weißt es am Ende selber nicht. Ich werde dich schelten und dir deine vielen Geliebten vorhalten, die du schlugst mit deiner Liebe und verwandeltest den einen in eine Fledermaus, den anderen in einen
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