Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Freundes Gefallen an der Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse, die ihm gegeben war, etwas wie ein Gefallen am Bösen selbst, nicht nur an der Freiheit dazu, hatte erkennen wollen; vor allem aber schließt eine solche nicht eingestandene, nur als Vergnügen an freier Wahlherrlichkeit verstandene Neigung zum Bösen die andere ein, sich über das Böse ein X für ein U zu machen und aus getrübter Vernunft wohl gar das Gute darin zu vermuten. Gott meinte es so vortrefflich mit Joseph, – war er überhaupt gesonnen, ihm die stolze und süße Lust, die sich ihm darbot, die vielleicht Er ihm darbot, zu mißgönnen? War diese Lust nicht vielleicht das geplante Mittel der Erhöhung, in deren Gewärtigung der Entrückte lebte und die durch seinen Aufstieg im Hause so weit vorangediehen war, daß nun die Herrin ihre Augen auf ihn geworfen hatte und ihm mit ihrem süßen Namen den Namen ganz Ägyptenlandes zu nennen, ihn sozusagen zum Herrn der Welt zu machen begehrte? Welcher Jüngling, dem sich die Geliebte schenkt, setzte dieses nicht gleich mit seiner Erhöhung zum Herrn der Welt? Und war es nicht eben dies, ihn zum Weltherrn zu machen, was Gott vorhatte mit Joseph?
Man sieht, welchen Anfechtungen seine denn doch auch nicht mehr ganz klare Vernunft ausgesetzt war. Gut und Böse waren im vollen Begriff, ihm durcheinanderzugeraten; es gab Augenblicke, wo er versucht war, dem Bösen die Deutung des Guten zu geben, und wenn auch das Deutzeichen hinter »liegen« kraft seiner Mumiengestalt danach angetan war, ihm Augen dafür zu machen, welchem Reich die Versuchung entstieg und daß, ihr zu erliegen, ein unverzeihlicher Stirnschlag für Den sein würde, der kein Mumiengott verheißungsloser Dauer, sondern ein Gott der Zukunft war, – so hatte Joseph doch allen Grund, der Kraft der sieben Gründe und dem Verlaufe künftiger Feststunden zu mißtrauen und dem Freundchen sein Ohr zu leihen, das ihn wispernd beschwor, er möge nicht mehr zur Herrin gehen, auch keine Schmalzettel mehr annehmen vom bösen Gevatter und den Feuerstier fürchten, der schon nahe daran sei, in ein Aschenfeld zu verwandeln mit seinem Gebläse die ganze lachende Flur. Unstreitig war es leichter gesagt als getan für Joseph, die Herrin zu meiden, denn sie war die Herrin, und wenn sie rief, so mußte er kommen. Aber wie gern hält doch auch der Mensch sich den Wahlfall des Bösen offen, labt sich an seiner Freiheit dazu und spielt mit dem Feuer, sei’s aus vertrauender Tapferkeit, die sich vermißt, den Stier bei den Hörnern zu nehmen, sei es aus Leichtsinn und heimlicher Lust – wer will das unter-scheiden!
Die schmerzliche Zunge (Spiel und Nachspiel)
Es kam die Nacht des dritten Jahres, wo Mut-em-inet, Potiphars Weib, sich in die Zunge biß, weil es sie übermächtig verlangte, ihres Ehrengemahls jungem Hausmeier das zu sagen, was sie ihm rebusweise bereits geschrieben hatte, und sie zugleich doch auch wieder aus Stolz und Scham es ihrer Zunge verwehren wollte, so zu ihm zu sprechen und dem Sklaven ihr Blut anzutragen, daß er es ihr stille. Denn dieser Widerstreit lag in ihrer Rolle als Herrin, daß es ihr einesteils fürchterlich war, so zu sprechen und ihm ihr Fleisch und Blut anzutragen gegen seines, aber andernteils ihre Sache war und ihr zukam als männischer und sozusagen bärtiger Liebesunternehmerin. Darum biß sie sich in die Zunge bei Nacht von oben und unten, so daß sie fast durchbiß und am nächsten Tag vor schmerzhafter Behinderung lispelte wie ein kleines Kind.
Während einiger Tage nach überreichtem Billett hatte sie Joseph nicht sehen wollen und ihm ihr Antlitz verweigert, weil sie nicht in das seine zu blicken wagte, nachdem sie ihn schriftlich zur Niederlage aufgefordert. Allein ebendie Entbehrung seiner Nähe machte sie reif, ihm das in Zauberschrift schon Gesagte mit eigenem Munde zu sagen; das Verlangen nach seiner Gegenwart nahm die Gestalt an des Verlangens, ihm das Wort zu sagen, das zu sprechen ihm, dem Liebesknechte, verwehrt war, so daß, wenn sie je erfahren wollte, ob es ihm aus der Seele gesprochen war, nichts übrigblieb, als daß sie selbst, die Herrin, es sprach und ihm ihr Fleisch und Blut antrug in der innigen Hoffnung, seinen eigenen geheimen Wünschen damit zu begegnen und ihm das Wort vom Munde zu nehmen. Ihre Herrinnenrolle verdammte sie zur Schamlosigkeit; aber sie hatte sich für dieselbe nachts im voraus bestraft, indem sie sich in die Zunge gebissen, so daß sie nun das Notwendige immerhin sagen mochte,
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