Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
ohnmächtige Wut über jene von Rebekka geleiteten einschneidenden Geschehnisse in des augenkranken Großvaters dunkler Zeltwohnung, die Jaakob dann von Hof und Herde in die Fremde trieben, hatten dem Knaben Eliphas furchtbar ans Herz gegriffen, und sein Haß auf den fälschlich gesegneten jungen Oheim hatte geradezu etwas Aufreibendes und für ihn selbst Lebensgefährliches: er schien über die zarten Kräfte seines Alters zu gehen. Zu Hause, angesichts der wachsamen Rebekka, war gegen den Segensdieb überhaupt nichts zu unternehmen. Als sich aber herausstellte, daß Jaakob geflohen war, stürzte Eliphas zu Esau und forderte ihn mit fliegenden Worten auf, dem Verräter nachzusetzen und ihn zu erschlagen.
Aber der zur Wüste verfluchte Esau war viel zu niedergebrochen, von bitterem Weinen über sein unterweltliches Schicksal viel zu geschwächt, um zu der geforderten Tat aufgelegt zu sein. Er weinte, weil es ihm so zukam, weil das seiner Rolle entsprach. Seine Art, die Dinge und sich selbst zu sehen, war durch eingeborene Denkvorschriften bedingt und bestimmt, die ihn banden, wie alle Welt, und ihre Prägung von kosmischen Kreislaufbildern empfangen hatten. Durch des Vaters Segen war Jaakob endgültig zum Mann des vollen und »schönen« Mondes geworden, Esau aber zum Dunkelmond, also zum Sonnenmann, also zum Mann der Unterwelt, – und in der Unterwelt weinte man, obgleich man dort möglicherweise sehr reich an Schätzen wurde. Wenn er sich später ganz zu den Leuten des südlichen Gebirges und ihrem Gotte schlug, so tat er es, weil es sich so für ihn schickte, denn der Süden lag im Denklichte des Unterweltlichen, wie übrigens auch die Wüste, in die Isaaks Gegenbruder Ismael hatte abwandern müssen. Beziehungen aber hatte Esau schon längst, schon lange vor Empfang des Fluchspruches von Beerscheba aus, mit den Leuten von Seïr angeknüpft, und das beweist, daß es sich bei Segen und Fluch nur um Bestätigungen handelte, daß sein Charakter, das heißt seine Rolle auf Erden, von langer Hand her festgelegt und er sich ebendieser Charakterrolle von jeher vollkommen bewußt gewesen war. Er war ein Jäger geworden, des offenen Feldes schweifender Gast, zum Unterschiede von Jaakob, der in Zelten wohnte und ein Mondhirt war, – war es geworden nach seiner Natur, auf Grund seiner stark männlichen körperlichen Anlagen, gewiß. Aber man ginge fehl und würde der mythischschematischen Bildung seines Geistes nicht gerecht, indem man annähme, Gefühl und Bewußtsein seiner selbst, seiner Rolle als sonnverbrannter Sohn der Unterwelt, sei ihm erst aus seinem Jägerberuf erflossen. Umgekehrt – mindestens so sehr umgekehrt – hatte er diesen Beruf schon darum gewählt, weil es ihm so zukam, aus mythischer Bildung also und Gehorsam gegen das Schema. Faßte man sein Verhältnis zu Jaakob gebildet auf – und das zu tun, war Esau, seiner Rauhigkeit ungeachtet, immer bereit gewesen –, so war es die Wiederkehr und das Gegenwärtigwerden – die zeitlose Gegenwärtigkeit – des Verhältnisses von Kain zu Habel; und in diesem war Esau nun einmal Kain: nämlich bereits in seiner Eigenschaft als älterer Bruder, welchem freilich das neuere Weltrecht ehrend zur Seite stand, der aber wohl fühlte und wußte, daß, aus Zeiten mütterlicher Vorfrühe übermacht, eine tiefe Herzensneigung der Menschheit dem Jüngeren, dem Jüngsten gehörte. Ja, falls eine gewisse Geschichte von einem Linsengericht als wirklich geschehen hinzunehmen und nicht nachträglich, zur Rechtfertigung des Segensbetruges, den Tatsachen sollte hinzugefügt worden sein (weshalb Jaakob immer noch sehr wohl an ihre Wahrheit hätte glauben können), so wäre Esau’s scheinbarer Leichtsinn sicherlich aus solchen Empfindungen zu erklären: Indem er dem Bruder die Erstgeburt so leichten Kaufes abtrat, hoffte er, wenigstens die Sympathien, welche herkömmlicherweise dem Jüngeren zufallen, auf seine Seite zu bringen.
Kurzum, der rote, haarige Esau weinte und zeigte sich dem Verfolgungsund Racheunternehmen entschieden abgeneigt. Er hatte gar keine Lust, den Habel-Bruder auch noch zu erschlagen und so ein Gleichnis auf die Spitze zu treiben, auf das die Eltern ohnehin das ganze Verhältnis von Anfang an hinausgespielt hatten. Als dann aber Eliphas sich erbot oder vielmehr glühend danach verlangte, in diesem Falle selbst den Gesegneten einzuholen und zu töten, hatte Esau nichts dagegen zu erinnern und winkte Erlaubnis unter Tränen. Denn daß der Neffe den Oheim
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