Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
selbst zu diesem Zweck erdichtete, indem er aber so tat, als handle es sich um geprägte Volksweisheit, wie zum Beispiel: »Hohe Würde – Goldne Bürde«; »Hast du Ehr’, hast du Beschwer«; »Der Letzte zur Schicht – der Erste zur Pflicht« und dergleichen goldene Regel mehr. Daß er sie sich ausdachte und vorsagte, geschah, seit er unterwegs, auf dem Wasserzuge, erfahren hatte, daß seine Herrin ihre Teilnahme am Hathorentanz wegen Unmusternheit abgesagt hatte und allein das Haus hütete, – denn ehe er das gewußt, hatte er der Reimchen nicht gedacht, noch sich eingeredet, daß sie Volksprägungen seien, und nicht war ihm bewußt gewesen, was er nun desto klarer erkannte, daß er laut dieser geflügelten Weisheit anständigerweise als erster vor allem Dienstvolk ins leere Haus zurückkehren müsse, um nach dem Rechten zu sehen.
Er gebrauchte bei sich diese Redensart: »Nach dem Rechten sehen«, obschon sie ihm etwas ominös vorkam und eine innere Stimme ihm riet, sie als gefährlich zu meiden. Überhaupt machte Joseph als ehrlicher junger Mann sich kein X für ein U darüber, daß mit der Befolgung der alten Lehrreime für ihn eine große, herzaufstörende Gefahr verbunden sei, – herzaufstörend jedoch nicht nur als Gefahr, sondern, freudigerweise, auch als große Gelegenheit. – Als Gelegenheit wozu? – Als Gelegenheit, wisperndes Gottliebchen, eine Sache, die zu einer Ehrensache zwischen Gott und Amun geworden, so oder so endgültig zum Austrag zu bringen, den Stier bei den Hörnern zu nehmen und es in Gottes Namen auf alles ankommen zu lassen. Dazu , zitterndes Freundchen, ist es die große, die herzaufstörende Gelegenheit, und alles übrige ist kleines Gefasel. »Pflegt noch das Volk der Rast – trägt schon der Herr die Last«; mit so körnig-altehrwürdigen Prägungen hält es Jungmeier Joseph, und er wird sich darin weder durch undienliches Zwergengezirp noch durch die verfängliche Hauseinsamkeit seiner Herrin beirren lassen. –
Soviel sollte man abnehmen aus seinen Gedankengängen, daß kein Grund ist, sich seinetwegen in Sicherheit zu wiegen. Kennte man nicht den Ausgang der Geschichte, weil sie sich ihrer Zeit schon geschehend zu Ende erzählt hat und dieses hier nur ihre festliche Wiederholung und Nacherzählung, sozusagen Tempeltheater, ist, so könnten einem vor Besorgnis um ihn die Schweißtropfen auf der Stirne stehen! Was aber heißt »Wiederholung«? Die Wiederholung im Feste ist die Aufhebung des Unterschiedes von »war« und »ist«; und so wenig man, als die Geschichte sich selber erzählte, zu dieser Geschehensstunde darüber beruhigt sein konnte, daß ihr Held mit einem blauen Auge davonkommen und nicht vielmehr alles verderben werde, indem er es mit Gott verdarb, so wenig ist jetzt und hier vorwitzige Sorglosigkeit am Platze. Die Klage der Frauen, die den schönen Gott in der Höhle begraben, tönt nicht minder schrill, weil die Stunde kommt, da er erstehen wird. Denn für jetzt einmal ist er tot und zerrissen, und einer jeden Feststunde des Geschehens gebührt die volle Ehre und Würde ihrer Gegenwart in Jammer und Jubel, in Jubel und Jammer. Feierte nicht auch Esau seine Ehrenstunde, hochgebläht, und warf die Beine im Schreiten, daß es ein Jammer und Jux war mit seinem Prahlen? Denn daß er schon hätte heulen und weinen sollen, so weit war die Geschichte für ihn noch nicht vorgerückt. So ist sie es auch für uns noch immer nicht weit genug, daß uns bei Josephs Gedankengängen und goldenen Reimchen der Schweiß der Besorgnis nicht sollte perlenweis auf der Stirne stehen.
Ihn uns noch heftiger auszutreiben, genügt ein Blick in Potiphars festverwaistes Haus. Die Frau, die dort einsam zurückgeblieben und deren Teil es ist, die Mutter der Sünde zu spielen, – hält sie nicht in der Feststunde ihrer glühendsten Zuversicht? Glaubt man, daß sie weniger entschlossen ist, als Jaakobs Sohn, es aufs Äußerste ankommen zu lassen, und hat sie nicht allen Anlaß, des bitter-seligen Triumphes ihrer Leidenschaft sicher zu sein, – nicht jederlei Grund zu der düster-innigen Hoffnung, bald ihren Jüngling in naher Beiwohnung zu umschließen? Nicht nur, daß ihr Verlangen sich ermächtigt weiß von höchster geistlicher Stelle, im Schutze steht von Amuns Ehre und Sonnenmacht, so ist ihm auch Erfüllung verbürgt von unten her, kraft scheußlichen Höllenzwanges, mit dem des Gaufürsten Tochter freilich unter ihren Stand hinabgestiegen, dessen erniedrigenden Bedingungen sie
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