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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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während welcher er reglos verharrte. Dann aber sang und klang es herüber:
    »Bist also du es, Osarsiph, den ich im Saale höre, und bist du vor allen andern schon heimgekehrt vom Fest in das leere Haus?«
    »Du sagst es, Herrin«, erwiderte er, indem er die Becher an ihren Ort stellte und durch die offene Tür in Peteprê’s Nordhalle trat, um besser ins rechts anstoßende Zimmer reden zu können.
    »Ja, so ist es, ich bin schon da, um im Haus nach dem Rechten zu sehen. Übersicht – will viel Verzicht. Gewiß kennst du den Kernspruch, und da mich mein Herr nun einmal übers Haus gesetzt hat und sich um nichts kümmert vor mir als um die Mahlzeit, die er hält, denn vertrauensvoll hat er alles in meine Hand gegeben, ohne sich etwas vorzubehalten vor mir und wollte buchstäblich nicht größer sein als ich in diesem Hause, – so hab’ ich dem Troß noch ein wenig gute Zeit gegönnt, daß sie’s auskosten, mir aber fand ich’s anständig, Verzicht zu tun auf des Tages restliche Lust, daß ich mich beizeiten im Haus wieder einfände, gemäß dem Satze: ›Gönne der Menge und wähle die Strenge!‹ Übrigens will ich mich nicht loben vor dir, denn nicht gar lange bin ich vor den andern gekommen, und kaum noch der Rede wert ist mein Vorsprung vor ihnen – es ist nicht viel damit anzufangen, und beinahe jeden Augenblick schon können sie einströmen und kann auch Peteprê heimkehren, des Gottes Einziger Freund, dein Gemahl und mein edler Herr –«
    »Und nach mir«, klang die Stimme aus dem Dämmergemach, »da du dich umsiehst nach allem im Hause, willst du dich nicht umsehen, Osarsiph, und hörtest doch, daß ich allein zurückblieb und leide? Tritt über die Schwelle zu mir!«
    »Gern täte ich das«, erwiderte Joseph, »und machte, Herrin, über die Schwelle Besuch bei dir, wenn nur nicht mehrere Kleinigkeiten im Feiersaal sich noch in völliger Unordnung befänden, die eben geschwind noch mein Augenmerk erheischen –«
    Aber die Stimme läutete:
    »Tritt herein zu mir! Die Herrin befiehlt es.«
    Und Joseph ging über die Schwelle zu ihr hinein.
    Das Antlitz des Vaters
    Hier schweigt die Geschichte. Das will sagen: Sie schweigt in gegenwärtiger Fassung und Festaufführung, denn als sie im Original geschah und sich selbst erzählte, schwieg sie keineswegs, sondern ging weiter dort drinnen im Dämmergemach als bewegte Wechselrede oder sogar als Zwiegespräch in dem Sinn, daß beide Handelnden zugleich redeten, worüber wir aber den Schleier des Zartgefühls und menschlicher Rücksichtnahme werfen. Damals nämlich begab sie sich auf eigene Hand und ohne Zeugen, während sie sich hier und heute vor einem großen Publikum abspielt, – ein entscheidender Unterschied für das Taktgefühl, wie niemand leugnen wird. Namentlich war es Joseph, der durchaus nicht schwieg und nicht schweigen durfte, sondern in einem Zuge und Atem unglaublich flüssig und gewandt dahinredete, indem er die ganze Anmut und Klugheit seines Geistes gegen das Begehren der Frau ins Feld führte, um es ihr auszureden. Gerade hier aber liegt der Hauptgrund unserer Zurückhaltung. Denn er verwickelte sich dabei in einen Widerspruch – oder vielmehr ein Widerspruch entwickelte sich dabei, höchst bemühend und peinlich ergreifend für das Menschengefühl: der Widerspruch zwischen Geist und Körper. Ja, unter den Erwiderungen des Weibes, den gesprochenen und den stummen, stand sein Fleisch auf gegen seinen Geist, so daß er unter den geläufigsten und gescheitesten Reden zum Esel wurde; und was für ein erschütternder, zu erzählerischer Schonung anhaltender Widerspruch ist das: die redende Weisheit die, schrecklich Lügen gestraft durch das Fleisch, das Bild des Esels bietet!
    Für das Weib bedeutete der totengöttliche Zustand, in dem er floh (man weiß ja, daß es ihm zu fliehen gelang), einen besonderen Anlaß zur Verzweiflung und rasender Enttäuschungswut; denn schon hatte ihr Verlangen ihn in Mannesbereitschaft erfunden, und der Jammer- und Jubelruf, unter dem die Verlassene das in ihren Händen gebliebene Gewandstück (man weiß ja, daß er einen Teil seines Kleides zurückließ) im Paroxysmus begeisterten Schmerzes mißhandelte und liebkoste, – dieser einmal übers andere ausgestoßene Ruf der Ägypterin lautete: »Me’eni nachtef!« »Ich habe seine Stärke gesehen!«
    Was ihn aber vermochte, sich loszureißen und von ihr hinauszufliehen im letzten, äußersten Augenblick, war dies, daß Joseph das Vaterantlitz sah – alle

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