Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
der Bäcker, saß nieder und verbarg das Gesicht in den Händen, und zwischen seinen beringten Fingern sprangen die Tränen hervor.
Joseph aber tröstete ihn und sprach:
»Weine nicht allzusehr, Erlaucht-Großbäcker, und zerfließe du auch nicht in Freudentränen, Meister vom Kranze! Sondern nehmt es beide mit Würden, wie’s nun einmal ist und wie ihr seid und wie euch geschieht! Mit der Welt ist es auch ein Rundes und Ganzes und hat ein Oben und Unten, ein Gut und Böse, aber man soll nicht allzu viel Wesens machen von dieser Zweiheit, denn im Grunde ist Ochs wie Esel und sind vertauschbar und machen zusammen das Ganze aus. Seht’s an den Tränen, die ihr beide vergießt, daß der Unterschied zwischen euch Herren nicht gar so groß ist. Du, Eminenz-Prositrufer, überhebe dich nicht, denn nur sozusagen bist du gut, und ich glaube, deine Unschuld besteht darin, daß man gar nicht an dich herangetreten ist von wegen des Bösen, weil du eine Plaudertasche bist und man dir nicht traute, sodaß du vom Bösen nichts zu wissen bekamst. Auch wirst du nicht meiner gedenken, wenn du in dein Reich kommst, obgleich du’s versprochen hast, ich sage es dir im Voraus. Oder erst sehr spät wirst du’s tun, wenn du mit der Nase gestoßen wirst auf mein Andenken. Wenn du dann meiner gedenkst, so denke daran, wie ich’s dir im Voraus sagte, daß du nicht meiner gedenken wirst. Du aber, Bäckermeister, verzweifle nicht! Denn ich glaube, du hast dich dem Bösen verschworen, weil du’s für ehrwürdig vorgeschrieben hieltest und es mit dem Guten verwechseltest, wie es denn wohl geschehen mag. Siehe, du bist des Gottes, wenn er unten ist, und dein Genoß ist des Gottes, wenn er oben ist. Aber Gottes seid ihr beide, und Haupterhebung ist Haupterhebung, sei’s auch am Kreuz- und Querpfahl des Usir, an dem man wohl auch einmal einen Esel erblickt, zum Zeichen, daß Set und Osiris derselbe sind.«
So Jaakobs Sohn zu den Herren. Drei Tage aber, nachdem er ihnen ihre Träume gedeutet, wurden sie abgeholt aus dem Gefängnis, und beiden wurde das Haupt erhoben, dem Schenken in Ehren, dem Bäcker in Schanden, denn er wurde ans Holz geheftet. Der Schenke aber vergaß Josephs vollständig, da er nicht an das Gefängnis denken mochte und also denn auch an jenen nicht.
ZWEITES HAUPTSTÜCK
DIE BERUFUNG
Neb-nef-nezem
Nach diesen Geschichten blieb Joseph noch zwei Jahre im Kerker und in seiner zweiten Grube, damit er das Alter erreichte und dreißig würde, ehe er daraus hervorgezogen wurde in höchster, ja atemloser Eile, da es nun Pharao selbst gewesen war, der geträumt hatte. Denn nach zwei Jahren hatte Pharao einen Traum – er hatte zwei Träume; aber da sie im Wesentlichen auf das Gleiche hinausliefen, so kann man auch sagen, Pharao habe einen Traum gehabt, das ist gleichviel und ist das Wenigste, – die Hauptsache und das herauszuhebende Moment ist vielmehr, daß, wenn es hier »Pharao« heißt, das Wort nicht mehr – persönlich genommen nicht mehr – dieselbe Meinung hat, wie zu der Zeit, als Bäcker und Mundschenk ihre Wahrträume träumten. Denn Pharao heißt es immer, und immer ist Pharao; zugleich aber kommt und geht er, wie die Sonne immer ist, aber ebenfalls geht und kommt; und inzwischen, das heißt sehr bald, nachdem Josephs Pfleglingen, den beiden Herren, auf gegensätzliche Art das Haupt war erhoben worden, war Pharao eben gegangen und gekommen, – womit wir darauf anspielen, was Joseph alles versäumte, während er im bôr und im Gefängnis lag, oder wovon doch nur ein schwaches Echo zu ihm hinab gelangte: einen Thronwechsel nämlich, den klagevollen Abschied eines Weltentages und den jauchzenden Anbruch neuer Zeit, von der sich die Menschen eine Wendung zum Glücke erwarteten, möge auch die vorige, in den Grenzen des Irdischen, recht glücklich gewesen sein, und der sie zutrauen, daß nun das Recht das Unrecht vertreiben und »der Mond richtig kommen werde« (als ob er nicht schon vorher richtig gekommen wäre), kurz, daß man von nun an in Lachen und Staunen leben werde, – Grund genug für alles Volk, um wochenlang zu springen und zu trinken, nämlich nach einer Trauerfrist in Sack und Asche, die aber keineswegs bloß heuchelndem Anstande, sondern aufrichtigem Kummer über den Hingang der alten Zeit zuzuschreiben ist. Denn der Mensch ist ein konfuses Wesen. –
Soviele Jahre wie sein Erzschenk und der General-Intendant seines Backwesens zu Zawi-Rê Tage verbracht hatten, nämlich vierzig, hatte Amuns Sohn,
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