Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
höchstens mit beidem. Deinen Knecht erstaunt es und trifft ihn rührend ins Herz, daß du geruhst, ein Lamm, nämlich das inspirierte, in ihm zu sehen. Denn ich bin dieses Namens kindlich gewohnt von meinem Vater, dem Gottesfreunde, her, der mich ›das Lamm‹ zu nennen pflegte, und zwar, weil meine liebliche Mutter, um die er diente zu Sinear überm verkehrt Fließenden, die Sternenmagd, die mich gebar im Zeichen der Jungfrau, Rahel hieß, das ist: Mutterschaf. Dies aber berechtigt mich nicht, deiner Annahme, großer Herr, unbedingt zuzustimmen und zu sprechen: ›Ich bin’s‹; denn ich bin’s und bin’s nicht, eben weil ich es bin, das will sagen: weil das Allgemeine und die Form eine Abwandlung erfahren, wenn sie sich im Besonderen erfüllen, also, daß unbekannt wird das Bekannte und du’s nicht wiedererkennst. Erwarte nicht, daß ich tot umsinken werde bei meinem letzten Wort, weil es sich so gehört. Dieser dein Knecht, den du aus der Grube riefst, erwartet es nicht, denn es gehört nur zur Form, nicht aber zu mir, in dem sie sich abwandelt. Auch werde ich nicht in Verzückung schäumen, nach dem Muster des prophetischen Jünglings, wenn Gott mir gibt, dem Pharao wahrzusagen. Da ich ein Knabe war, verzückte es mich wohl, und ich schuf Sorge dem Vater, indem ich die Augen rollte, gehörnten Nacktläufern gleich und Orakellallern. Das hat der Sohn von sich abgetan, seit er etwas zu Jahren kam, und hält’s mit dem Gottesverstande, auch wenn er deutet. Deutung ist Verzückung genug; man muß nicht auch noch dabei geifern. Deutlich und klar sei das Deuten, kein Aulasaukaulala.«
Er hatte beim Sprechen nicht nach der Mutter geschaut, aber aus dem Augenwinkel sah er nun, daß sie Zustimmung nickte auf ihrem Hochsitz. Sogar ließ sie die fast männlich tiefe, energische Stimme ihres zierlichen Körpers vernehmen und äußerte:
»Hörens- und Beherzigenswertes spricht der Fremde vor Pharao.«
Darauf durfte Joseph nun fortfahren, denn der König schwieg für den Augenblick und ließ den Kopf hängen mit der schmollenden Miene eines milde gescholtenen Knaben.
»Es hängt aber«, ging der Belobte weiter, »die Gefaßtheit beim Deuten und Weissagen nach dem Dafürhalten dieses Geringen damit zusammen, daß es ein Ich ist und ein Einzig-Besonderes, durch das die Form und das Überlieferte sich erfüllen, – dadurch wird ihnen meines Erachtens das Siegel der Gottesvernunft zuteil. Denn das musterhaft Überlieferte kommt aus der Tiefe, die unten liegt, und ist, was uns bindet. Aber das Ich ist von Gott und ist des Geistes, der ist frei. Dies aber ist gesittetes Leben, daß sich das Bindend-Musterhafte des Grundes mit der Gottesfreiheit des Ich erfülle, und ist keine Menschengesittung ohne das eine und ohne das andere.«
Amenhotep nickte seiner Mutter mit hohen Augenbrauen zu und applaudierte, indem er eine Hand gerade aufstellte und mit zwei Fingern der anderen leicht gegen die Fläche schlug.
»Hörst du, Mamachen?« sagte er. »Das ist ein einsichtiger, hochbegabter Jünglingsmann, den meine Majestät da kommen ließ. Erinnere dich, bitte, daß ich es war, der ihn aus eigenem Entschlusse zu Hofe rief! Pharao ist auch sehr begabt und fortgeschritten für seine Jahre, aber es ist ungewiß, ob er dies, mit dem bindenden Muster der Tiefe und der Würde von oben her, so zu ordnen und auszumachen gewußt hätte. – Also bist du nicht an das bindende Muster des schäumenden Lammes gebunden«, fragte er, »und wirst Pharao nicht das Herz zermalmen mit der hergebrachten Verkündigung greulichen Elends, das kommen soll, und des Einbruchs der Fremdvölker, daß da wird das Unterste zuoberst gekehrt werden?« Er schauderte. »Man kennt das«, sagte er mit erbleichenden Lippen. »Aber meine Majestät muß sich ein wenig schonen und erträgt schlecht das Wilde, sondern braucht das Liebe und Zarte. Das Land ist zu Grunde gegangen, es lebt in Aufruhr, Beduinen durchziehen es, Arm und Reich sind vertauscht, die Gesetze haben aufgehört, der Sohn erschlägt den Vater und wird vom Bruder erschlagen, das Wild der Wüste trinkt aus den Wasserläufen, man lacht das Lachen des Todes, Rê hat sich abgewandt, man weiß nicht, wann Mittag ist, denn man erkennt nicht den Schatten der Sonnenuhr, die Bettler essen die Opfergaben, der König wird gefangen hinweggeschleppt, und nur der Trost bleibt, daß es danach durch Errettersmacht wieder besser wird. Pharao wird also dies Lied nicht hören müssen? Darf er hoffen, daß die Modelung
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