Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
würden, der Held, der einst erweckt werden sollte aus erwähltem Samen, und dem der Stuhl seines Königreiches sollte bestätigt sein ewiglich.
Ihn, der da kommen würde, nannte er Shiloh, – und nun ist man dringend aufgefordert, sich’s vorzustellen und es sich einzubilden so gut man nur kann, wie Jaakob, der Aus- und Eindrucksreiche, in diesen Lehrstunden, das Anfänglichste mit dem Zukünftigsten verbindend, von Shiloh sprach. Es war bedeutend, es war gewaltig; Thamar, das Weib, das ganz allein gewürdigt war, es zu hören, saß unbeweglich; man hätte nun auch bei genauestem Hinsehen kein leisestes Schaukeln ihrer Ohrringe mehr feststellen können. Sie hörte die Welt, die im Frühen das Späte barg als Verheißung, eine ungeheure und vielverzweigte, geschichtenvolle Geschichte, durch welche der Purpurfaden der Zugelobung und der Gewärtigung lief von einst zu einst, vom ehemaligsten Einst zum zukünftigsten, wo denn in kosmischer Heilskatastrophe zwei Sterne, die feindlich gegeneinander geflammt, der Stern der Macht, der Stern des Rechts, mit das All erfüllendem Donnergetös ineinanderstürzen und einer sein würden fortan in mildgewaltigem Schein zu Häupten der Menschheit: der Stern des Friedens. Das war Shilohs Stern, des Menschensohnes, des Sohnes der Erberwählung, der dem Samen des Weibes verheißen war, daß er solle der Schlange den Kopf zertreten. Thamar aber war ein Weib, war das Weib, denn jedes Weib ist das Weib, Mittel des Falles und Schoß des Heils, Astarte und Mutter Gottes, und zu Füßen saß sie des Vatermannes, auf den durch regelnden Pfiff der Segen gekommen war, und der ihn weiterverspenden sollte in die Geschichte hinaus an Einen in Israel. Wer war es? Über wessen Scheitel würde der Vater sein Horn erheben, daß er ihn zum Erben salbe? Thamar hatte Finger, es sich daran auszurechnen. Drei waren verflucht, der Liebling aber, der Sohn der Rechten, war tot. Nicht Liebe konnte den Erbgang lenken, und wo die Liebe hinweggenommen, bleibt nichts als Gerechtigkeit. Gerechtigkeit war das Horn, aus dem das Öl der Erwählung träufeln mußte auf den Scheitel des Vierten. Juda, er war der Erbe.
Die Entschlossene
Von nun an eigneten sich die stehenden Furchen zwischen Thamars Brauen noch eine dritte Bedeutung zu. Nicht nur vom Zorn über ihre Schönheit sprachen sie und von suchender Anstrengung, sondern auch von Entschlossenheit. Hier sei es erhärtet: Thamar war fest entschlossen, sich, koste es was es wolle, mit Hilfe ihres Weibtums in die Geschichte der Welt einzuschalten. So ehrgeizig war sie. In diesen unerschütterlichen und – wie alle Unerschütterlichkeit etwas Finsteres hat – fast finsteren Entschluß war ihre geistliche Strebsamkeit eingemündet. Belehrung wird in gewissen Naturen sofort zum Wollen, ja, solche Naturen gehen wohl nur auf Belehrung aus, um ihr Wollen damit zu speisen und ihm ein Ziel zu geben. Thamar hatte über die Welt und ihre Zielstrebigkeit nur belehrt zu werden brauchen, um zu dem unbedingten Entschluß zu gelangen, ihr Weibtum mit dieser Zielstrebigkeit zu verbinden und weltgeschichtlich zu werden.
Wohl verstanden: in der Geschichte der Welt steht jeder. Man braucht nur in die Welt geboren zu sein, um so oder so und schlecht und recht durch sein bißchen Lebensgang zur Gänze des Weltprozesses sein Scherflein beizutragen. Die meisten aber wimmeln peripherisch weitab-seitab, unkund des Hauptgeschehens und ohne Anteil an ihm, bescheiden und im Grunde froh, nicht zu seinem erlauchten Personal zu gehören. Thamar verachtete diese. Kaum war sie belehrt, so wollte sie, – oder richtiger: sie hatte Belehrung genommen, um zu erfahren, was sie wollte und nicht wollte. Sie wollte nicht abseits wimmeln. Recht auf die Bahn wollte dies Landmädchen sich bringen, die Bahn der Verheißung. Von der Familie wollte sie sein, sich einschalten mit ihrem Schoß in die Geschlechterreihe, die in die Zeiten führte zum Heil. Sie war das Weib, und Verkündigung war ihrem Samen geworden. Eine Vor-Mutter Shilohs wollte sie sein.
Nichts mehr und nichts weniger. Fest standen die Falten zwischen ihren samtenen Brauen. Schon drei Bedeutungen hatten sie, – es konnte nicht fehlen, daß sie noch eine vierte annahmen: diejenige zornig neidvoller Geringschätzung für Schua’s Tochter, das Weib Jehuda’s. Dieser Trulle, die auf der Bahn war und an erlauchtem Platze, so ohne Verdienst und Wissen und Willen (denn Wissen und Willen rechnete Thamar als Verdienst), – dieser der
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