Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
angetan war von ihr und sie an sich zog zum Lohn ihrer Bewunderung? Er war ein gefühlsliebender Greis, der nur darauf wartete, noch einmal fühlen zu können; und um uns Alten einmal noch das Gefühl zu wecken, oder doch etwas, was mild und verhüllt an das Gefühl unserer Jugend erinnert, muß schon was Besonderes kommen, das uns durch seine Bewunderung stärkt, astartisch zugleich und geistlich begierig nach unserer Weisheit.
Thamar war eine Sucherin. Die Falten zwischen ihren Brauen hatten nicht nur den Sinn des Zornes über ihre Schönheit, sondern auch den angestrengter Bemühtheit um Wahrheit und Heil. Wo in der Welt trifft man die Gottessorge nicht an? Sie kommt vor auf Königsthronen und in ärmlichsten Bergweilern. Thamar war eine ihrer Trägerinnen, und die Unruhe, die sie erregte, störte und erzürnte sie eben um der höheren Unruhe willen, die sie trug. Man hätte dies Landeskind vom Dorfe für religiös versorgt halten sollen. Der Wald-und-Wiesen-Naturdienst jedoch, den man ihr überlieferte, hatte ihrer Eindringlichkeit, schon ehe sie Jaakob hörte, nicht wollen Genüge tun. Sie kam mit den Baalim und Fruchtbarkeitsgöttern nicht aus, denn ihre Seele erriet, daß anderes, Überlegenes in der Welt war, und angestrengt spürte sie ihm nach. Es gibt solche Seelen: ein Neues und Änderndes braucht nur in der Welt zu sein, daß ihre einsame Empfindlichkeit davon berührt und ergriffen wird und sie sich zu ihm auf den Weg machen müssen. Ihre Unruhe ist nicht erster Ordnung, wie die des Wanderers von Ur, die ihn ins Leere trieb, wo nichts war, sodaß er das Neue selber aus sich hervorbringen mußte. Nicht so diese Seelen. Ist aber das Neue da und ist es in der Welt, so beunruhigt es ihre Empfänglichkeit sogar von weither, daß sie danach müssen wallen gehen.
Thamar hatte nicht weit zu wallen. Die Waren, die sie Jaakob ins Zelt brachte, um Kupfergewicht dafür zu nehmen, waren bestimmt nur ein Trick des Geistes und ein Vorwand ihrer Unruhe. Sie fand zu ihm, und nun saß sie oft und oft zu den Füßen des Feierlichen, Geschichtenschweren, sehr gerade, die dringlichen Augen groß zu ihm aufgeschlagen, von Aufmerksamkeit so gebannt und reglos, daß die silbernen Ohrringe zuseiten ihrer vertieften Wangen herniederhingen ohne zu schaukeln, und er erzählte ihr die Welt, das heißt seine Geschichten, die er in kühner Lehrhaftigkeit als die Geschichte der Welt darzustellen wußte, – eines Stammbaums verzweigtes Gebreite, eine aus Gott erwachsene und von ihm betreute Familiengeschichte.
Er lehrte sie den Anfang, Tohu und Bohu und ihre Entmischung durch Gottes Wort; das Werk der sechs Tage und wie das Meer auf des Wortes Geheiß sich mit Fischen, der Raum danach unter der Feste des Himmels, wo die Lichter standen, mit vielem Gefieder, und die grünende Erde mit Vieh, Gewürm und allerlei Tieren füllte. Er ließ sie die rüstige und heiter pluralische Aufforderung Gottes hören an sich selbst, den unternehmenden Vorsatz: »Laßt uns den Menschen machen!« – und ihr war, als sei er es selbst, der’s gesagt hatte, und jedenfalls, als müsse Gott, von dem es immer und geradehin nur einfach »Gott« hieß wie nirgends sonst in der Welt, – als müsse Er ganz ähnlich dabei ausgesehen haben, wie Jaakob selbst, womit ja der Zusatz auch übereinstimmte: »Ein Bild, das uns gleich sei.« Sie hörte vom Garten gegen Morgen und von den Bäumen darin, des Lebens und der Erkenntnis, von der Verführung und von der ersten Eifersuchtsanwandlung Gottes: wie er erschrak, der Mensch, der nun gar schon wisse, was Gut und Böse, möchte auch noch vom Baum des Lebens essen und vollends werden wie unsereiner. Da eilte sich unsereiner, vertrieb den Menschen und setzte den Cherub davor mit hauendem Schwert. Dem Menschen aber gab er Mühe und Tod, daß er zwar ein Bild sei, uns gleich, aber nicht allzu gleich, sondern nur etwas gleicher, als Fische, Gevögel und Vieh, jedoch mit der heimlich gesetzten Aufgabe, uns, unserer Eifersucht entgegen, nach Möglichkeit immer gleicher zu werden.
So hörte sie’s. Sehr folgeklar war es nicht, vielmehr geheimnisvoll und dazu großartig wie Jaakob selbst, der es kündete. Sie hörte von den feindlichen Brüdern und vom Mord auf dem Felde. Von den Kindern Kains und ihren Geschlechtern, wie sie sich in drei Arten teilten auf Erden: Solche, die in Hütten wohnen und Vieh ziehen; Solche, die Erze schmieden und sich damit schienen, und Solche endlich, die bloß geigen und pfeifen. Das war eine
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