Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Geschichtlichkeit gewürdigten Null also wollte sie nicht im geringsten wohl, sondern haßte sie, ganz ohne es vor sich selbst zu verbergen, aufs weiblichste, und hätte ihr, wiederum ohne es sich selbst zu verhehlen, den Tod gewünscht, wenn das noch Sinn gehabt hätte. Es hatte aber keinen, weil jene dem Juda ja schon drei Söhne gebracht hatte, sodaß sie diesen allen dreien den Tod hätte wünschen müssen, damit die Lage hergestellt und wirklich der Platz für sie frei gemacht sei an der Seite des Erben. Als solchen liebte sie Juda und begehrte sein – es war die Liebe des Ehrgeizes. Nie hat wohl – oder hatte bis dahin – ein Weib einen Mann so gar nicht um seiner selbst willen, vielmehr so ganz um einer Idee willen geliebt und begehrt, wie Thamar den Juda. Es war eine neue Liebesgründung; zum ersten Mal gab es das: die Liebe, die nicht aus dem Fleische kommt, sondern aus dem Gedanken, sodaß man sie wohl dämonisch nennen mochte, so gut wie die Unruhe, die Thamar selbst der Mannheit erweckte ohne Fleischesform.
Sie hätte ihr astartisch Teil, dem sie sonst zürnte, wohl gern und willentlich spielen lassen zu Juda hinüber und kannte ihn viel zu gut als Knecht der Herrin, um nicht des Sieges gewiß zu sein. Aber es war zu spät, – was ja immer heißt: zu spät in der Zeit. Sie war zu spät daran, war fehl am Zeitort mit ihrer Ehrgeiz-Liebe. An dieser Stelle der Kette konnte sie sich nicht mehr einschalten und sich nicht wohl auf die Bahn bringen. Sie mußte daher einen Schritt vorwärts oder hinab tun in der Zeit und den Generationen, mußte selbst die Generation wechseln und ihr zielstrebiges Begehren dorthin richten, wo sie Mutter hätte sein wollen, – was gedanklich nicht schwer war, da Mutter und Geliebte immer Eines gewesen waren in höherer Sphäre. Kurzum, von Juda, dem Erbsohn, mußte sie ihr Augenmerk auf seine Söhne, die Erbenkel, richten, – denen sie fast den Tod gewünscht hätte, um sie selbst, und zwar besser, hervorzubringen: auf den Ältesten, den Knaben ’Er selbstverständlich zuerst und allein, denn er war der Erbe.
Ihre persönliche Stellung in der Zeit ermöglichte ihr das Hinabsteigen recht wohl. Sie wäre für Juda nicht viel zu jung gewesen und war für ’Er nicht gar zu alt. Dennoch tat sie den Schritt nicht gern. Die Anstößigkeit dieser Generation, ihre kränkliche, wenn auch nette, Verderbtheit, ließ sie zögern, ihn zu tun. Aber ihr Ehrgeiz wußte sich zu helfen, – er mußte wohl, sie wäre sonst sehr unzufrieden mit ihm gewesen. Er sagte ihr, daß die Verheißung nicht immer verheißungsvolle oder auch nur geheure Wege zu gehen braucht; daß sie, ohne zu verkümmern, viel Zweideutig-Minderwertiges und selbst Verworfenes durchlaufen mag, und daß aus Krankem nicht immer Krankes kommen muß, sondern ein geprüftes und aufgeartetes Leben daraus hervorgehen und weiterhin seinen Weg zum Heile nehmen kann, besonders, wenn ihm die aufartende Kraft einer Entschlossenheit dabei zu Hilfe kommt, wie Thamar sie ihr eigen nannte. Auch waren die Juda-Sprossen ja eben nur abgeartete Männer. Auf das Weib aber kam’s an, und darauf, daß das rechte just hier am schwächsten Punkte sich einschalte. Dem Schoße des Weibes galt die erste Verheißung. Was lag an den Männern!
Um nun jedoch ihr Ziel zu erreichen, mußte sie wieder hinaufsteigen in der Zeit bis ins dritte Glied; anders war’s nicht zu machen. Zwar ließ sie ihr Astartisches spielen gegen den jungen Menschen, aber die Rückwirkung war kindisch und lasterhaft. ’Er wollte nur scherzen mit ihr, und als sie dagegen die Finsternis ihrer Brauen setzte, fiel er ab und war des Ernstes nicht fähig. Sich hinter Juda zu stecken, weiter hinauf, hinderte sie ein Zartgefühl; denn er war es gewesen, den sie eigentlich begehrt hatte oder begehrt hätte, und wenn er das auch nicht wußte, so wußte doch sie es und schämte sich, von ihm den Sohn zu begehren, den sie ihm hätte gebären wollen. Darum steckte sie sich hinter Jaakob, das Sippenhaupt, ihren Lehrer, und hinter seine ihr selbstverständlich wohlbekannte würdevolle Schwäche für sie, der sie mehr schmeichelte, als daß sie sie verletzt hätte, indem sie sich um Aufnahme in die Familie bewarb und den Enkel von ihm zum Mann begehrte. Am selben Platze tat sie es, im Zelt, wo Joseph den Alten einst ums bunte Kleid beschwatzt, und hatte leichteres Spiel als jener, mit ihrem Anliegen.
»Meister und Herr«, so sprach sie, »Väterchen, lieb und groß, nun höre deine Magd
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