Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Umzug und Erntedank in Stadt und Tal, denn sie hatten die Trauben gepflückt unter Gesängen und sie nackend mit Füßen getreten in der Felsenkelter, daß ihre Beine purpurn wurden bis zu den Hüften und das süße Blut durch die Rinne hin in die Kufe floß, wo sie knieten und es lachend in Krüge und Balgschläuche füllten, auf daß es gäre. Da nun der Wein auf Hefen lag, stellten sie das Fest der sieben Tage an, opferten den Zehnten der Erstlinge von Rind und Schaf, von Korn, Most und Öl, schmausten und tranken, brachten Adonai, dem großen Baal, kleinere Götter zur Aufwartung in sein Haus und führten ihn selbst in seinem Schiff auf den Schultern, mit Trommeln und Cymbelglocken, in Prozession über Land, daß er aufs neue segne den Berg und den Acker. Aber mitten im Fest, am dritten Tage, sagten sie eine Musik und einen Reigen an vor der Stadt, in Gegenwart der Burg und jedes, der kommen wollte, Weiber und Kinder nicht ausgenommen. Da kamen heraus Hemor, der Alte, auf einem Stuhl getragen, und der zapplige Sichem, getragen ebenfalls, mit Frauenstaat und Verschnittenen, mit Ämtlingen, Kaufleuten und kleinem Volk, und aus seinem Zeltlager kam Jaakob mit Weibern, Söhnen und Knechten, und sie alle kamen zusammen und ließen sich nieder an dem Ort, wo die Musik erschallte, und an der Stätte, wo der Reigen geschehen sollte: unter Ölbäumen im Tal, wo es weit war, der Berg des Segens geräumig ausbog, oben felsig und lieblich unten, und in der Schlucht des Fluchberges Ziegen nach trockenen Kräutern kletterten. Der Nachmittag war blau und warm, das sinkende Licht kleidete alle Dinge und Menschen wohl und vergoldete die Formen der Tänzerinnen, welche, gestickte Bänder um Hüften und Haar, Metallstaub in den Wimpern ihrer langgeschminkten Augen, mit rollendem Bauch vor den Musikanten tanzten und die Köpfe abwandten von den Handtrommeln, die sie rührten. Die Musikanten hockten und schlugen Leier und Laute, ließen ertönen das scharfe Weinen der Kurzflöten. Andere, hinter den Spielenden, klatschten nur mit den Händen den Takt, und weitere sangen, indem sie mit der Hand ihre Kehle schüttelten, damit es gepreßt und beweglich klinge. Männer kamen auch, zu tanzen; sie waren bärtig und nackt, hatten Tierschwänze umgebunden und sprangen wie Böcke, indem sie die Mädchen zu haschen suchten, welche ausgebogenen Leibes entwischten. Ballspiel gab es ebenfalls, und die Mädchen waren geschickt darin, mehrere Kugeln auf einmal hochauf gaukeln zu lassen bei gekreuzten Armen oder indem die eine sich auf die Hüfte der anderen setzte. Groß war die Zufriedenheit aller, Städter wie Zeltbewohner, und wenn auch Jaakob das Rauschen und Klimpern nicht liebte, da es betäubte und die Gottesbesinnung nahm, so machte er doch behagliche Miene um der Leute willen und schlug aus Höflichkeit manchmal den Takt mit den Händen.
Da nun war es, daß Sichem, der Burgsohn, Dina sah, des Ibrims Tochter, dreizehnjährig, und sie begehren lernte, daß er nie wieder aufhören konnte, sie zu begehren. Sie saß mit Lea, ihrer Mutter, auf der Matte, gleich neben den Musikanten, gegenüber dem Sitze Sichems, und unablässig betrachtete er sie mit verwirrten Augen. Sie war nicht schön, ein Leakind war das, aber ein Reiz ging zu jener Zeit von ihrer Jugend aus, süß, zäh, gleichsam Fäden ziehend wie Dattelhonig, und dem Sichem erging es vom Anschauen alsbald wie der Fliege an der bestrichenen Tüte: er zog die klebenden Beinchen, um zu sehen, ob er hätte loskommen können, wenn er gewollt hätte, wollte es zwar nicht ernstlich, weil die Tüte so süß war, erschrak aber zu Tode, weil er bemerkte, daß er es auch bei dem besten Willen nicht gekonnt hätte, hüpfte auf seinem Feldstühlchen hin und her und verfärbte sich hundertmal. Sie hatte ein dunkles Frätzchen mit schwarzen Haarfransen in der Stirn unter dem Schleiertuch ihres Hauptes, lange finster-süße Augen von klebrigem Schwarz, die unter den Blicken des sich Vergaffenden öfters ins Schielen gerieten, eine breitnüstrige Nase, an deren Scheidewand ein Goldring baumelte, einen ebenfalls breiten, rot aufgehöhten, schmerzlich verzerrten Mund und fast überhaupt kein Kinn. Ihr ungegürteter Hemdrock aus blau und roter Wolle bedeckte nur eine Schulter, und die andere, bloße, war äußerst lieblich in ihrer Schmalheit, die Liebe selbst, – wobei die Sache nicht besser, sondern nur schlimmer wurde, wenn sie den Arm an dieser Schulter hob, um ihn hinter den Kopf zu führen, so daß
Weitere Kostenlose Bücher