Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
vielleicht der weltpolitische Augenblick sei, dem König Murschili eine Aufmerksamkeit zu erweisen; andere schoben es auf eine Unpäßlichkeit des Alleinigen, denn er hatte vor der Sitzung erklärt, daß er einen Staub-Katarrh habe, und hielt sich fortwährend ein Tuch vor den Mund.
Über dieses hin blickte er groß in den Saal hinaus, als die Chetiter abgetreten waren und man die Gruppe asiatischer Männer hereinführte, die nun an der Reihe war: einer ragte hervor, einer hatte ein schwermütig Löwenhaupt, einer war markig und fest, ein andrer wies lange, geläufige Beine auf, zwei weitere verleugneten nicht eine rohe Streitbarkeit, einer schoß stechende Blicke, an einem gewahrte man feuchte Augen und Lippen, einer interessierte durch auffallend knochige Glieder, einer durch lockiges Haar, einen Rundbart und reichliches Rot und Blau der Purpurschnecke in seinem Kleide. So hatte jeder seine Besonderheit. In der Mitte des Saales fanden sie es an der Zeit, den Boden zu küssen, und der Alleinige mußte warten, bis sie wieder aufrecht waren, daß er ihnen mit dem Wedel winken konnte, näher heranzutreten. Sie kamen und fielen nieder aufs neue.
»So viele?« fragte er mit verschleierter Stimme, die er, Gott wußte warum, beinahe brummend senkte. »Zehne auf einmal? Warum nicht lieber gleich elfe! Wiederholer! frage sie, warum sie nicht gleich zu elfen kommen, und womöglich zu zwölfen. Oder versteht ihr Männer ägyptisch?«
»Nicht wie wir möchten und wünschten, Herr, unsre Zuflucht«, erwiderte einer in seiner Sprache: der auf den Läuferbeinen, der offenbar auch eine geläufige Zunge hatte. »Du bist wie Pharao. Du bist wie der Mond, der barmherzige Vater, der in hehrem Gewande einherschreitet. Du bist wie ein erstgeborener Stier, der seinen Schmuck hat, Moschel, Gebieter! Unsere Herzen preisen einstimmig den, der da Markt hält, den Ernährer der Länder, die Speise der Welt, ohne den niemand Atem hätte, und wünschen ihm Lebensjahre soviel, wie das Jahr Tage hat. Deine Zunge aber, Adôn, verstehen wir, deine Knechte, nicht hinlänglich, daß wir einen Handel darin tätigen könnten, halt es zu Gnaden!«
»Du bist wie Pharao«, wiederholten sie im Chor.
Während der Dolmetsch die Rede Naphtali’s rasch und geschäftsmäßigeintönig übersetzte, verschlang Joseph die mit den Augen, die vor ihm standen. Er erkannte sie alle, unterschied mit geringer Mühe jeden einzelnen, welches Werk auch die Zeit an ihnen getan hatte. Da war der große Ruben, schon ganz grau bei Haupt, auf Säulenbeinen, bärbeißig angezogen die starken Muskeln seines Angesichts. Gott der Fügungen, es war vollzählig da, das haßverhungerte Wolfsrudel, das sich auf ihn gestürzt mit »Herunter, Herunter!«, so sehr er gebettelt: »Zerreißt es nicht!«, die Wütigen alle, die ihn zu Grabe geschleift mit Hoihupp und Hoihe, so fassungslos er sie, sich selbst, den Himmel gefragt: »Ach, ach, wie geschieht mir!«, die ihn als Heda und Hundejungen an die Ismaeliter verkauft hatten für zwanzig Silberlinge und hatten des Kleides Trümmer vor seinen Augen durchs Schlachtblut gezogen. Sie waren da, seine Brüder in Jaakob, aufgetaucht aus der Zeit, – seine Mörder durch Träume, zu ihm geführt durch Träume und das Ganze war wie ein Traum. Es waren die Rotäugigen zu sechsen, und die vier von den Mägden: Bilha’s Otterschlange und ihr Nachrichtenkrämer, Silpa’s stämmiger Erster im Waffenrock, der gerade Gad und sein Bruder das Leckermaul. Der war der jüngsten einer nächst Issakhar, dem tragenden Esel und dem gepichten Sebulun, – und hatte doch auch schon Runzeln und Furchen im Antlitz und schon viel Silber im Bart, im glatten geölten Haupthaar. Du Ewiger, wie alt sie geworden waren! Es war ergreifend – wie eben das Leben ergreifend ist. Er erschrak aber bei ihrem Anblick, weil fast nicht denkbar war, daß der Vater noch lebte, wo sie schon so alt waren.
Das Herz voll Lachen und Weinen und Bangigkeit, sah er sie an und kannte sie alle wieder durch die Bärte hindurch, die einige von ihnen zu seiner Zeit noch garnicht getragen. Sie aber, die ihn ansahen ebenfalls, dachten nicht daran, ihn zu erkennen und ihre sehenden Augen waren mit Blindheit bedeckt für die Möglichkeit, daß er es sein könnte. Sie hatten einst ein unverschämtes Bruderblut in die Welt verkauft, in die Horizonte hinaus und in Nebelfremde, das wußten sie immer, wußten es auch jetzt. Aber daß der vornehme Heide dort auf dem Thronstuhl unter den Fächern, in
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