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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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nicht, Mai, was für ein Mann ich bin. Das weiß der Mensch nicht im voraus, wie er sich halten wird in seiner Geschichte, sondern wenn’s da ist, so zeigt es sich, und er wird sich bekannt. Ich bin neugierig auf mich selbst und darauf, wie ich zu ihnen sprechen werde, denn ich habe keine Idee davon. Das ist es ja, was mich zappeln macht, – als ich vor Pharao stehen sollte, war ich kein Teilchen so aufgeregt. Und dabei sind’s meine Brüder. Aber das ist es eben. In meinem Herzen geht’s drunter und drüber, wie ich dir sagte, und ist ein Wirrwarr darin von Freude, Neugier und Angst, ganz unbeschreiblich. Wie ich erschrak, als ich die Namen las auf der Liste, obgleich ich’s doch gewußt und bestimmtest erwartet hatte, das bildest du dir nicht ein, du kannst ja nicht erschrecken. Erschrak ich für sie oder für mich? Das weiß ich nicht. Aber daß sie für ihr Teil wohl Grund hätten, in ihre Seele hinein zu erschrecken, das wollen wir gut sein lassen, es ist schon so. Denn es war keine Kleinigkeit damals, – so lange es her ist, es ist darüber nicht zur Kleinigkeit worden. Daß ich sagte, ich käme zu ihnen, um nach dem Rechten zu sehen, war schreiend unreif, ich gebe es zu, – ich gebe alles zu, vor allem, daß ich ihnen meine Träume nicht hätte erzählen sollen, und auch, daß ich natürlich dem Vater alles angesagt hätte, wenn sie mich aus der Grube begnadigt hätten, – so mußten sie mich darinnen lassen. Und doch, und doch, daß sie taub blieben, als ich zu ihnen schrie aus der Tiefe, zerbeult und in Banden, und sie jammernd beschwor, es doch dem Vater nicht anzutun und mich verkommen zu lassen im Loch, ihm aber des Tieres Blut zu weisen, – Freund, es war schon trotz allem ein starkes Stück, stark nicht so sehr in Hinsicht auf mich, davon will ich nicht reden, aber in Hinsicht auf den Vater. Wenn er nun gestorben ist vor Gram und ist mit Leide hinuntergefahren nach Scheol, – werde ich dann auch gut mit ihnen sein können? Ich weiß es nicht, ich kenne mich nicht in diesem Fall, aber ich fürchte mich vor mir, ich fürchte, ich würde nicht gut mit ihnen sein können. Haben sie seine grauen Haare mit Herzeleid in die Grube gebracht, das würde auch zum Ergebnis gehören, Mai, sogar in erster Linie, und es würde das Licht, das vom Ergebnis fällt auf die Tat, gar sehr verdüstern. Auf jeden Fall aber bleibt’s eine Tat, die es verdient, daß man sie dem Ergebnis gegenüberstelle, Aug’ in Auge mit ihm, damit sie sich vor seiner Güte doch vielleicht ihrer Bösheit schäme.«
    »Was hast du vor mit ihnen?«
    »Weiß ich’s denn? Ich will ja dich um Rat und Beistand fragen, da ich nicht weiß, wo ich hin soll vor ihnen, – dich, meinen Haushalter, den ich in diese Geschichte hineinnahm, damit du mir von deiner Ruhe leihst in meiner Aufgeregtheit. Du kannst schon was davon abgeben, du hast zuviel davon; allzu ruhig bist du und stehst da nur und ziehst die Brauen hoch und machst einen kleinen Mund, denn du kannst nun mal nicht erschrecken, und darum fällt dir nichts ein. Dies ist aber eine Geschichte, zu der einem eine Menge einfallen muß, das ist man ihr schuldig. Denn die Begegnung von Tat und Ergebnis ist ein Fest sondergleichen, das gefeiert und ausgeschmückt sein will mit allerlei Zierat und heiligem Schabernack, damit die Welt unter Tränen zu lachen habe länger als fünftausend Jahre lang!«
    »Aufregung und Erschrockenheit, Adôn, sind unfruchtbarer denn Ruhe. Ich werde dir gleich einmal etwas einmischen, was niederschlägt. Ich schütte ein Pulver in Wasser, das ist stille darin. Schütte ich aber ein gewisses andres hinzu, so brausen sie auf miteinander, und trinkst du den Braus, so kehrt Beruhigung ein in dein Herz.«
    »Ich will es später gern trinken, Mai, im rechten Augenblick, wenn mir’s am nötigsten ist. Jetzt höre, was ich getan habe vorderhand. Ich habe durch rennenden Boten Order gegeben, daß man sie absondere von den Kommenden, mit denen sie kamen, und sie nicht mit Getreide versehe in den Grenzstädten, sondern sie nach Menfe herab verweise ins große Schreibhaus. Ich habe veranlaßt, daß man ein Auge habe auf ihre Reise im Land und sie in guten Rasthäusern unterbringe mit ihren Tieren und unterderhand für sie sorge in der Fremde, die ihnen so fremd und sonderbar ist, wie sie mir war, als ich hierher verstarb mit siebzehn Jahren. Da war ich schmiegsam, sie aber, wenn ich’s bedenke, sind ja des Alters bis zu Ende vierzig hinauf, wenn ich Benjamin ausnehme; er

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