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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Kennzeichnung. Er war zweideutig, doppelgesichtig und ein Mann des Zugleich, schön und mächtig, ermutigend und beängstigend, gütig und gefährlich. Man wurde nicht klug aus ihm, wie man eben aus der Eigenschaft »tâm« nicht klug wird, in der Ober- und Unterwelt sich begegnen. Er konnte teilnehmend sein und hatte sich um die Fährnisse ihrer Reise bekümmert. Leben und Wohlsein ihres Vaters waren ihm der Erkundigung wert gewesen und über des Jüngsten Vermähltsein hatte er laut in den Saal gelacht. Aber dann, als ob er sie nur in freundliche Sicherheit hätte wiegen wollen, war er ihnen mit dem schrullenhaft-willkürlichen und lebensgefährlichen Verdacht des Kundschaftertums ins Gesicht gefahren und hatte sie unerbittlich in Geiselhaft getan, bis sie zum Gegenbeweise den Elften beibrächten, – als ob das im Ernst eine Weißwaschung gewesen wäre! Tâm – es gab garkeine andre Vokabel dafür. Ein Mann des Wendepunktes und der Vertauschung der Eigenschaften, der oben und unten zu Hause war. Ein Handelsmann war er ja auch und ins Kaufmännische war schon der Diebstahl einschlägig, was ganz zur Zweideutigkeit stimmte.
    Aber was half die Bemerkung und was half’s zu beklagen, daß der anziehende Mann so böse mit ihnen war? Es besserte nichts an der Patsche, in der sie saßen, einer Zwicklage, von der sie einander gestanden, daß sie bedrohlicher sei, als ihnen je eine zugestoßen. Und der Augenblick kam, wo sie dem unvernünftigen Verdacht, unter dem sie standen, mit einem sehr vernünftigen eignen begegneten: dem nämlich, daß jener zu tun haben möchte mit dem Verdacht, unter welchem zu leben sie häuslich gewohnt waren, – kurzum, daß diese Heimsuchung Vergeltung bedeute für alte Schuld.
    Es wäre nämlich ein Irrtum zu glauben und aus den Texten zu schließen, sie hätten erst vor Josephs Ohren, beim zweiten Gespräch mit ihm, diese Vermutung ausgetauscht. Nein, schon hier, in der Klausur, drängte sie sich ihnen auf die Lippen, und sie sprachen von Joseph. Es war merkwürdig genug: die Person des Markthalters mit der des Begrabenen und Verkauften auch nur in die leiseste Gedankenverbindung zu bringen, war ihnen doch völlig verwehrt, – und dennoch sprachen sie von dem Bruder. Ein bloß moralischer Vorgang war das nicht; sie kamen von einem zum anderen nicht erst auf dem Weg von Verdacht zu Verdacht, von der Schuld zur Strafe. Es war eine Sache der Berührung.
    Mai-Sachme hatte in seiner Ruhe wohl recht gehabt, zu sagen, zwischen Erkennen und Merken, daß man erkennt, liege noch mancher Schritt. Man kommt nicht mit einem Bruderblut in Berührung, ohne es zu erkennen, besonders, wenn man es einst vergossen hat. Aber ein anderes ist es, sich’s einzugestehen. Wenn Einer behauptete, die Söhne hätten zu dieser Stunde in dem Markthalter bereits den Bruder erkannt, so drückte er sich sehr linkisch aus und begegnete mit Recht dem entschiedensten Widerspruch; denn woher dann auch ihr maßloses Erstaunen, als er sich ihnen zu erkennen gab? Sie hatten keine Ahnung! Nämlich davon hatten sie keine, warum ihnen Josephs Bild und ihre alte Schuld vor die Seele traten nach oder schon bei der Berührung mit dem anziehend-gefährlichen Machthaber.
    Diesmal war es nicht Ascher, der aus Genäschigkeit das gemeinsame Fühlen, das sie bündelte, in Worte gefaßt hätte, sondern Juda tat es, der Mann des Gewissens. Jener entschied, daß er zu gering dafür sei, dieser aber, es komme ihm zu.
    »Brüder in Jaakob«, sagte er, »wir sind in großer Not. Fremde dahier, sind wir in eine Schlinge getappt, in eine Grube unbegreiflichen, aber verderblichen Verdachtes sind wir gefallen. Weigert Israel unserm Boten den Benjamin, wie er tun wird nach meiner Befürchtung, so sind wir entweder des Todes und man läßt uns in das Haus der Marter und Hinrichtung eintreten, wie die Kinder Ägyptens sagen, oder wir werden doch in die Sklaverei verkauft, zum Gräberbau oder zum Goldwaschen an entsetzlichem Ort, nie sehen wir unsre Kinder wieder, und die Fuchtel des ägyptischen Diensthauses wird unsre Rücken striemen. Wie geschieht uns da? Gedenket Brüder, warum uns das geschieht, und erkennet Gott! Denn unsrer Väter Gott ist ein Gott der Rache, und er vergißt uns nicht. Auch uns hat er nicht erlaubt, zu vergessen, aber am wenigsten vergißt er selbst. Warum er nicht gleich losschnaubte dazumal, sondern ließ Lebenszeiten vergehen und kalt abstehen das Strafgericht, bis er uns nun dies zurichtet, das fraget ihn und nicht mich.

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