Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Denn wir waren Knaben, als wir’s taten und jener ein Knäblein und die Strafe trifft andre Leute. Aber ich sage euch: verschuldet haben wir’s an unserm Bruder, daß wir sahen die Angst seiner Seele, als er von unten zu uns schrie und wir wollten ihn nicht erhören. Darum kommt nun diese Trübsal über uns.«
Sie nickten schwer mit den Köpfen allesamt, denn die Gedanken aller hatte er ausgesprochen, und murmelten:
»Shaddai, Jahu, Eloah.«
Re’uben aber, den Weißkopf zwischen den Fäusten, rot im Gesicht vor Bedrängnis und mit geschwollenen Stirnadern, stieß zwischen seinen Lippen hervor:
»Ja, ja, gedenkt nur, murmelt und seufzt! Sagte ich’s nicht? Hab’ ich’s euch dazumal nicht gesagt, als ich euch warnte und sprach: Vergreift euch nicht an dem Knaben!? Wer aber nicht hören wollte, wart ihr. Da habt ihr’s nun, – sein Blut wird von uns gefordert!«
Ganz so hatte der gute Ruben damals eigentlich nicht gesprochen. Doch immerhin, er hatte manches verhindert, nämlich gerade, daß Josephs Blut geflossen war, oder doch, daß mehr davon war vergossen worden, als bei oberflächlicher Verletzung der Schönheit entquillt, und genau war es also nicht, zu sagen, sein Blut werde gefordert. Oder meinte Ruben das Blut des Tieres, das vor dem Vater für Josephs Blut hatte stehen müssen? Jedenfalls war auch den anderen zu Mut, als ob er sie damals gewarnt und ihnen Vergeltung vorhergesagt hätte, und sie nickten wieder und murmelten:
»Wahr, wahr, es wird gefordert.«
Sie bekamen zu essen, recht gut übrigens, Kringel und Bier, was wiederum der Mischung aus Freundlichkeit und Gefährlichkeit entsprach, die hier waltete, und schliefen nachts auf den Bänken, wo es sogar Nackenstützen gab, zu ihrer Haupterhebung. Am nächsten Tag galt es, den Boten zu wählen, der nach des Mannes Willen zurückreisen sollte, den Jüngsten zu holen, – und der vielleicht nie wiederkommen würde, nämlich, wenn Jaakob Nein sagte. Es kostete sie wirklich den ganzen Tag, denn nicht dem Lose mochten sie’s überlassen, sondern wollten lieber ihren Verstand zu Rate ziehen in einer so schwer wiegenden Frage, die unter verschiedenen Gesichtspunkten zu beurteilen war. Wem unter ihnen trauten sie den meisten Einfluß zu auf den Vater, daß er ihn berede? Wen konnten sie hier in der Not am leichtesten entbehren? Wer war der Unentbehrlichste für den Stamm, daß er überlebe, wenn sie zugrunde gingen? Das alles wollte geschlichtet, es wollten die Antworten unter einen Hut gebracht sein und bis zum Abend kamen sie nicht damit zu Rande. Da die Verfluchten oder Halb-Verfluchten sich nicht empfahlen, sprach vieles für Juda. Zwar hätten sie ihn nur ungern ziehen lassen; den Vater zu gewinnen aber mochte er der Rechte sein, und über seine Stammes-Unentbehrlichkeit waren alle einig – mit seiner eigenen Ausnahme, die den Beschluß verhinderte. Denn er schüttelte das Löwenhaupt und sagte, er sei ein Sünder und Knecht, nicht wert noch willens zu überleben.
Wen sollte man also bestellen und auf wen mit dem Finger weisen? Auf Dan wegen seiner Findigkeit? Auf Gaddiel seiner Nervigkeit wegen? Auf Ascher, weil er gern feuchtmäulig für alle sprach, – da Sebulun und Issakhar selber fanden, daß für sie so gut wie nichts ins Feld zu führen sei? Auf Naphtali, Bilha’s Sohn, mußte es schließlich hinauslaufen: sein Botentrieb drängte ihn zu der Aufgabe, ihm zuckten die Läuferbeine, die Zunge lief ihm im Voraus, und nur nicht bedeutend, von Geistes wegen nicht ansehnlich genug erschien er den andren, erschien er sich selbst, um in einem mehr als oberflächlichmythischen Sinn für die Rolle zu taugen. Darum war bis zum dritten Morgen der Weiser noch immer nicht eindeutig und entschieden auf einen von ihnen gerichtet; aber auf Naphtali wäre er notfalls wohl stehn geblieben, wenn sich bei neuer Audienz nicht gezeigt hätte, daß ihr Kopfzerbrechen umsonst gewesen war, da der gestrenge Markthalter sich eines anderen besonnen hatte.
Nicht sobald war Joseph nach dem Empfange und nach Entlassung seiner Großen mit Mai-Sachme, seinem Haushalter, allein gewesen, als er ihn auch schon, noch heißen Gesichts, bestürmt und jubelnd befragt hatte:
»Hast du gehört, Mai, hast du’s gehört? Er lebt noch, Jaakob lebt, er kann noch hören, daß ich lebe und nicht gestorben bin, er kann – und Benjamin ist ein Ehemann und hat einen Haufen Kinder!«
»Das war ein arger Schnitzer, Adôn, daß du gleich loslachtest darüber, ohne die
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