Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
seht ihr mein Antlitz nicht wieder.«
Sie blickten auf ihre Füße und kauten die Lippen.
»Herr«, sagte der Älteste, »was du gebietest, ist tunlich bis zu dem Augenblick, wo der Bote zu Haus wieder anlangt und unserem Vater gesteht: ehe denn daß wir beliefert werden, sollen wir beibringen den Jüngsten. Du weißt nicht, wie er da anlaufen wird, denn des Vaters Sinn ist sehr eigen und am allereigensten in dem Punkt, daß der Kleine zu Hause sei und niemals reise. Siehe, er ist das Nestküchlein ...«
»Aber das ist ja absurd!« rief Joseph. »Jede ruhige Überlegung führt doch zu dem Ergebnis, daß einer schon längst kein Nesthäkchen und kein Knirps mehr zu sein braucht, dieweil er der Jüngste. Das ist ein Vorurteil, das man nicht hätscheln soll. Sind die Älteren schon hübsch alt, so mag man zehnmal der Jüngste sein und dabei doch ein reisefähiger Mann in der Blüte der Jahre. Glaubt ihr, euer Vater wird euch alle hier in Gefangenschaft lassen als Kundschafter, lieber als daß er euch seinen Jüngsten leihe auf eine Reise?«
Sie berieten sich eine Weile untereinander mit Blicken und Schulterlüpfen und schließlich erwiderte Ruben:
»Wir halten das, Herr, für möglich.«
»Nun denn«, sagte Joseph und stellte sich auf seine Füße, »ich halte es nicht für möglich. Das macht ihr einem Mann wie mir nicht weis. Und was meine Worte betrifft, so bleibt’s bei ihnen. Stellt euren jüngsten Bruder vor mich, hart bind’ ich’s euch ein. Denn bei Pharao’s Leben, vermögt ihr’s nicht, so seid ihr der Kundschafterei überführt!«
Er winkte dem Offizier der Standwache, der sprach ein Wort und Lanzerne traten den Männern zur Seite und führten die Erschrockenen zum Saale hinaus.
»Es wird gefordert«
Es war kein Gefängnis und kein Loch, in das man sie warf, sondern nur in Klausur tat man sie: in ein abgelegenes Blüten-Pfeiler-Gelaß, zu dem einige Stufen hinabführten und das ein unbenutztes Schreibzimmer, ein Archiv veralteter Akten zu sein schien. Es bot hinlänglichen Raum für zehn und war von Bänken umlaufen. Für zeltende Hirten war es immer noch ein ans Noble grenzender Aufenthalt. Daß die Lichtluken vergittert waren, wollte nichts heißen, denn irgendein Gitterwerk haben solche immer. Freilich gingen Wachen vor der Tür auf und ab.
Jaakobs Söhne setzten sich auf ihre Fersen und berieten die Dinge. Sie hatten viel Zeit, den Mann zu wählen, der zurückreisen sollte, dem Vater die Zumutung zu stellen, Zeit bis übermorgen. Darum berieten sie erst einmal die Lage im Allgemeinen, die Patsche, in die sie geraten waren und die sie einstimmig und mit besorgten Mienen sehr arg und bedrohlich nannten. Was für ein dämonisches Mißgeschick, in diesen Verdacht geraten zu sein – kein Mensch wußte, wie! Sie machten einander Vorwürfe, daß sie das Unheil nicht hatten kommen sehen; denn ihre Absonderung an der Grenze, ihre Bestellung nach Menfe, das Auge, das man während der Reise dorthin auf sie gehabt, das alles, sagten sie jetzt, war schon verdächtig gewesen, verdächtig im Sinn eines Verdachts, mochte es sich anfangs auch eher freundlich angefühlt haben. Es war hier überhaupt ein Gemisch von Freundlichkeit und Gefährlichkeit, aus dem sie nicht klug wurden, das sie verstörte und ihnen zugleich ein eigentümliches Glücksgefühl schuf, unterhalb aller schweren Sorge und Kränkung. Nicht klug wurden sie aus dem Wesen des Mannes, vor dem sie gestanden und der diesen unseligen Verdacht gegen sie, die Lauteren, hegte, indem er ihnen die Widerlegung zuschob, – einen abgeschmackten, unglaublich launenhaften Verdacht, von ihnen aus gesehen, – denn sie, die zehnfache Unschuld und geschäftliche Harmlosigkeit, sie – Spione, gekommen, des Landes Scham auszulugen! Er aber hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, und außer daß das höchst bedenklich war und ihr Leben anging, tat es den Brüdern auch in der Seele weh; denn der Mann, dieser Markthalter und Große Ägyptens gefiel ihnen, und ganz abgesehen von ihrem Leben schmerzte es sie, daß gerade er so Übles von ihnen dachte.
Ein augengefälliger Mann. Man mochte ihn hübsch und schön nennen und ging kaum zu weit, wenn man ihn einem erstgeborenen Stier verglich, der seinen Schmuck hat. Auch freundlich war er auf eine Weise. Aber das war es eben, daß in seiner Person die Mischung von Freundlichkeit und Argnis sich konzentrierte, die für die Lage kennzeichnend war. Er war »tâm«, die Brüder einigten sich auf diese
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