Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Es konnte sein, daß er das Zeichen nur wiedererkannt zu haben meinte, weil er es gestern gesehen hatte und auch im Traum immerfort. Es blieb dabei, sie brachen auf, – es gab keine Worte, mit denen sich der Antrag hätte vertreten lassen, daß man noch bleiben möge, aber ein großer Schmerz war es für Benjamin. Eben daß der Mann sie in Gnaden entlassen hatte, das war der Schmerz. Daß er sie ziehen ließ, einfach wieder davonziehen, das war der große Kummer. Sie konnten doch nicht davonziehen, um keinen Preis! – doch allerdings, wenn der Mann sie ziehen ließ, dann konnten und mußten sie es. Und sie zogen.
Benjamin ritt mit Ruben, an seiner Seite, und das mit Recht, denn in mancher Beziehung bildeten ja die beiden ein Paar: nicht nur als der Älteste und der Jüngste, als Groß-Michel und Däumling, sondern viel innerlicher, in ihrem Verhältnis zu dem Nicht-mehr-Vorhandenen und zu seinem Nicht-mehr-Vorhandensein. Wir sind eingeweiht in die bärbeißige Schwäche, die Ruben für des Vaters Lamm immer gehegt hatte, und waren Zeugen seines absonderlichen, ihn von den Brüdern absondernden Benehmens bei Josephs Zerreißung und Begräbnis. Er hatte scheinbar volltätig daran teilgenommen, und teilgenommen hatte er auch an dem bündelnden Eide, dem gräßlichen, mit dem sich die Zehne gebunden, niemals mit einem Wink, Blink oder Zwink zu verraten, daß es nicht des Knaben Blut im Kleidfetzen, sondern des Tieres gewesen, das man dem Vater geschickt. Am Verkaufe aber hatte Ruben nicht teilgenommen; er war nicht zur Stelle dabei gewesen, sondern woanders, und darum war seine Vorstellung von Josephs Nicht-mehr-Vorhandensein viel vager noch, als die der Brüder, die vage genug, nebelhaft genug war und doch in einem Sinne nicht hinlänglich so. Sie wußten, daß sie den Knaben, den Wandernden, verkauft hatten, und damit wußten sie etwas zuviel. Ruben hatte den Vorzug, es nicht zu wissen; die Stelle aber, wo er geweilt hatte, während sie Joseph verkauften, war die leere Grube gewesen, und eine leere Grube zeitigt denn doch noch ein andres Verhältnis zu einem Nicht-mehr-Vorhandensein, als der Verkauf des Opfers in die Horizonte hinaus und in Nebelfernen.
Kurzum, der große Ruben, ob er selbst es nun wußte oder nicht, hatte den Keim der Erwartung gehegt und genährt all die Jahre her, – und das verband ihn, über alle Brüder hinweg, mit Benjamin, dem Unschuldigen, der überhaupt an nichts teilgenommen hatte, und für den das Nicht-mehr-Vorhandensein des Bewunderten nie etwas anderes gewesen war, als ein Gegenstand der Zuversicht. Hören wir ihn nicht, so lange es auch her ist, mit seiner Kinderstimme zu dem gebrochenen Alten sagen: »Er wird wiederkommen! Oder er wird uns nachkommen lassen!«? Reichliche zwanzig Jahre ist das her, aber die Erwartung war so wenig aus seinem Herzen gekommen, wie uns sein Wort aus dem Ohr, – und dabei wußte er weder von dem Verkauf, wie die neune, die ihn getätigt, noch von der leeren Höhle, aus der der Bestattete immerhin gestohlen sein konnte, sondern wußte es, wie der Vater, nicht anders, als daß Joseph tot sei, was eigentlich doch der Zuversicht gar keinen Raum ließ. Die aber scheint da am besten unterzukommen, wo gar kein Raum für sie ist.
Benjamin ritt mit Ruben, und dieser fragte ihn unterwegs, was denn der Mann beim Brot alles mit ihm gesprochen habe; er selbst, als Ältester, habe ihnen so ferne gesessen.
»Verschiedenartiges«, antwortete der Jüngste. »Er und ich, wir haben uns Schnurren von unseren Kindern erzählt.«
»Ja, da lachtet ihr«, sagte Ruben. »Alle sahen, daß ihr euch bogt und lachtet. Ich glaube, die Ägypter wunderten sich.«
»Sie wissen wohl, daß er reizend ist«, versetzte der Kleine, »und jeden zu unterhalten weiß, sodaß man sich selbst vergißt und mit ihm lacht.«
»Daß er auch anders sein kann«, erwiderte Ruben, »und kann sehr unbequem werden, das wissen wir.«
»Schon«, sagte Benjamin. »Ihr mögt ein Lied davon singen. Und doch will er uns wohl, davon weiß ich ein Lied. Denn das Letzte, was ich von ihm in den Ohren habe, war, daß er uns riet und uns sämtlich einlud durch mich, doch in Ägypten zu siedeln, so viele wir sind, und mit dem Vater herabzukommen, daß wir hier Triften bezögen.«
»Redete er dergleichen?« fragte Ruben. »Ja, so ein Mann weiß viel von uns und vom Vater! Von diesem namentlich weiß er gar viel und kennt ihn wohl und mutet ihm immer gerade das Rechte zu. Erst zwingt er ihn, dich auf Reisen zu
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